orgaMAX Blog | Mehr Wissen für Ihren Büroalltag

Dauerhaft beim Kunden tätig: Betriebsstätte oder nicht?

Geschrieben von orgaMAX Redaktionsteam | 12.09.24 06:00

Wird die Betriebsstätte von Selbstständigen nach den gleichen Kriterien bestimmt wie die erste Arbeitsstätte von Arbeitnehmern? Die Finanzämter gehen davon aus. Ein Finanzgericht hat es vor kurzem verneint. Es geht dabei um mehr als abstrakte Begriffe. Hat ein Selbstständiger beim Kunden seine Betriebsstätte, gilt für die Fahrt dorthin nur die Entfernungspauschale. Ohne Betriebsstätte wird sie zur Auswärtstätigkeit mit deutlich höheren Abzugsmöglichkeiten. Wissen Sie, wo Ihre Betriebsstätte liegt?

Sie sind selbstständig – haben Sie eine Betriebsstätte?

Wo Selbstständige eine Betriebsstätte haben, wirkt sich direkt auf die Fahrt- und Reisekosten aus, die sie als Betriebsausgaben absetzen können. Allerdings ist längst nicht immer auf Anhieb klar, ob beziehungsweise wo eine Betriebsstätte existiert. Wie so oft im deutschen Steuerrecht: Die Details entscheiden – und selbst die Juristen sind sich untereinander uneinig.

  • In vielen Fällen ist die Sache unstrittig. Wenn Sie üblicherweise an Arbeitstagen morgens von zuhause aus in Ihr Büro, in Ihre Werkstatt, Ihr Ladengeschäft oder Ihre Gasträume fahren und dort den Tag über fleißig sind, dann liegt dort am Sitz Ihres Unternehmens auch Ihre Betriebsstätte.

  • Suchen Sie dagegen Ihre wechselnden Kunden jeweils zuhause auf, und haben Sie außer einem Heimbüro keine Geschäftsräume, dann haben Sie keine Betriebsstätte. Das kann zum Beispiel für einen Handelsvertreter gelten, für eine Personal Trainerin, einen mobilen Hundefriseur oder einen selbstständiger Bauhandwerker, der auf wechselnden Baustellen arbeitet.

  • In anderen Fällen ist die Frage schwieriger. Das ist etwa dann der Fall, wenn eine selbstständige IT-Expertin oder ein freier Marketing-Berater für längere Zeit einen Großteil der Arbeitszeit bei einem Kunden vor Ort tätig ist. Dann stellt sich die Frage, ob dort beim Kunden ihre Betriebsstätte liegt.

 

Das Homeoffice ist keine Betriebsstätte, ein Büro beim Kunden möglicherweise schon

Ein Homeoffice, die Arbeitsecke im Wohnzimmer und selbst ein Arbeitszimmer von Selbstständigen sind nach höchstrichterlicher Entscheidung keine Betriebsstätte (BFH, 13.05.2015 - III R 59/13) Dafür sollten die betrieblich genutzten Räume von der Wohnung abgetrennt und öffentlich, das heißt über einen eigenen Eingang und nicht nur von den Wohnräumen aus zugänglich sein.

Dagegen muss eine Betriebsstätte eines Selbstständigen nicht in seiner „Verfügungsmacht“ stehen. Sie ist also nicht auf Geschäftsräume beschränkt, deren Eigentümer oder Mieter der Selbstständige ist. Auch ein längerfristig genutztes Büro beim Kunden oder ein externer Seminarraum können grundsätzlich Betriebsstätte sein.

Selbst ein öffentlicher Ort oder ein bestimmtes „weiträumiges Tätigkeitsgebiet“, das ein Selbstständiger immer wieder aufsucht, kann einer Betriebsstätte entsprechen. Das wäre beispielsweise bei einem selbstständigen Artenschutzexperten der Fall, der über viele Monate hinweg vertragsgemäß ein bestimmtes Waldgebiet beobachtet, oder bei einem selbstständigen Paketboten, der ein festes Zustellgebiet hat.

 

Warum ist die Betriebsstätte wichtig?

  • Für die Fahrt von der Wohnung zur Betriebsstätte und zurück dürfen Selbstständige nur die Entfernungspauschale geltend machen. Sie ist auch als Pendlerpauschale bekannt und beträgt 30 Cent für die ersten 20 Entfernungskilometer und 38 Cent für jeden weiteren Entfernungskilometer. Ansetzbar ist nur die Distanz zwischen beiden Orten, nicht die doppelt so lange Fahrtstrecke der Hin- und Rückfahrt. So steht es – reichlich verklausuliert – im Einkommensteuergesetz (4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EstG in Verbindung mit § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4 Satz 2 bis 6).

  • Dagegen können Selbstständige für die Geschäftsfahrt zu einem Einsatzort, der keine Betriebsstätte darstellt, Reisekosten ansetzen, denn dies dann eine Auswärtstätigkeit Für die Fahrt mit dem eigenen Wagen sind damit entweder pauschal 30 Cent oder die anteiligen tatsächlichen Kosten pro gefahrenem Kilometer ansetzbar.
    Wird ein weit entfernter Kunde regelmäßig aufgesucht, kommt schnell ein deutlicher Unterschied bei den abziehbaren Betriebskosten zusammen.

  • Zudem können Selbstständige für eine Auswärtstätigkeit weitere Kosten geltend machen, etwa den Verpflegungsmehraufwand, Reisenebenkosten wie Parkhausgebühren sowie Übernachtungskosten. Die Details erläutert „Reisekosten abrechnen: Worauf muss ich achten?“. Bei der Fahrt zu einer Betriebsstätte ist kein Reisekostenabzug möglich.

  • Schließlich: Wenn Selbstständige oft beim Kunden arbeiten und sich deshalb dort eine zweite Wohnung nehmen, dann gilt das im Fall einer Betriebsstätte grundsätzlich als „doppelte Haushaltsführung“. Die Kosten der Wohnung sind damit absetzbar. Allerdings wird in diesem Fall nur noch eine „Familienheimfahrt“ pro Woche anerkannt, und nur mit der Entfernungspauschale. Mehr dazu steht im Beitrag „Doppelte Haushaltsführung bei Selbstständigen“.

Nehmen wir den Fall der Selbstständigen, die für längere Zeit beim Kunden vor Ort im Einsatz ist: Um die Kosten einer doppelten Haushaltsführung als Betriebsausgaben abzuziehen, ist es ein Vorteil, wenn ihr Einsatzort beim Kunden als Betriebsstätte zählt. Auf die abziehbaren Fahrtkosten wirkt es sich dagegen negativ aus. Der Steuervorteil hängt also unter anderem davon ab, ob man tageweise dorthin pendelt oder vor Ort eine Wohnung mietet.

 

Definitionsfrage: Betriebsstätte wie erste Tätigkeitsstätte?

Angesichts der steuerlichen Folgen gibt es häufig Streit um die Frage, ob eine Betriebsstätte vorliegt oder nicht. Die Finanzverwaltung vertritt den Standpunkt, dass für eine Betriebsstätte von Selbstständigen und für die „ersten Tätigkeitsstätte“ bei Arbeitnehmern die gleichen Kriterien gelten.

  • Die erste Tätigkeitsstätte von Arbeitnehmern ist im Einkommensteuergesetz definiert als „ortsfeste betriebliche Einrichtung“ des Arbeitgebers, der ein Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist, durch Arbeitsvertrag oder Anweisung des Arbeitgebers ( 9 Abs. 4 EstG).
    Dauerhaft bedeutet gemäß gesetzlicher Definition „unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus“.
    In Zweifelsfällen soll eine erste Tätigkeitsstätte dort vorliegen, wo Beschäftigte typischerweise jeden Tag arbeiten oder jede Woche zwei Tage oder aber mindestens ein Drittel der Arbeitszeit verbringen sollen.

  • Diese Regelungen gelten gemäß der Finanzverwaltung zufolge auch für Betriebsstätten von Selbstständigen. Auch bei ihnen entsteht nach dieser Auffassung eine Betriebsstätte, wenn sie außerhalb der Wohnung „unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus“ an einem Ort arbeiten, etwa im Unternehmen eines Kunden.
    Gibt es bei Selbstständigen mehrere Orte, an denen sie „arbeitstäglich oder je Woche an zwei vollen Arbeitstagen oder mindestens zu einem Drittel ihrer Arbeitszeit“ tätig sind, ist gemäß Fiskus die „erste Betriebsstätte“ entscheidend. Das ist diejenige, die der Wohnung am nächsten liegt.

Die Gleichsetzung von Betriebsstätte und erster Tätigkeitsstätte wurde in einer Verwaltungsanweisung kurz nach der Reisekostenreform 2014 festgelegt. (BMF-Schreiben vom 24. Oktober 2014 GZ IV C 6 - S 2145/10/10005 :001). Es ist jedoch keineswegs klar, ob die Gleichbehandlung der Betriebsstätte bei Selbstständigen und der ersten Tätigkeitstätte von Arbeitnehmern juristisch gut begründet ist. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat genau dies vor kurzem bestritten.

 

IT-Experte arbeitet beim Kunden – liegt dort seine Betriebsstätte?

In dem Verfahren ging es um einen selbstständigen IT-Berater. Er war von März 2016 bis Jahresende 2018 ausschließlich für einen Kunden tätig. Der Berater arbeitete auch im Haus dieses Unternehmens, in der Regel an vier Tagen in der Woche. Dafür mietete er vor Ort eine Wohnung. Einen Tag pro Woche arbeitete er zuhause an seinem Hauptwohnsitz.

Nach einer Betriebsprüfung monierte das Finanzamt, dass er für die Fahrten zum Kunden die Kilometerpauschale und für die Verpflegung dort Mehraufwendungen wegen einer Auswärtstätigkeit geltend gemacht hatte. Für die Prüferin hatte der IT-Berater eine Betriebsstätte bei dem Kunden. Deshalb konnte er nach ihrer Meinung dort keine Verpflegungsmehraufwendungen abziehen. Zudem bestand in ihren Augen eine doppelte Haushaltsführung, so dass nur eine Heimfahrt pro Woche angesetzt werden durfte, und nur mit der Entfernungspauschale.

Der Streit ging vor Gericht. Das Finanzgericht kam zu der Einschätzung, dass der Einsatzort beim Kunden zwar nicht die Definition einer ersten Tätigkeitsstätte erfüllte, aber trotzdem eine Betriebsstätte war.

Um die Definition der ersten Tätigkeitsstätte zu erfüllen, hätte der IT-Experte diesem Arbeitsort „zugeordnet“ sein müssen. Er war jedoch vertraglich nicht verpflichtet, dort zu arbeiten, sondern tat dies freiwillig. Ein Weisungsrecht des Arbeitgebers gab es gegenüber ihm als Selbstständigen nicht.

Trotzdem, so das Finanzgericht, lag eine Betriebsstätte vor (FG Rheinland-Pfalz, 19.06.2024 - 1 K 1219/21). Hauptgrund dafür war die „Regelmäßigkeit des Aufsuchens“, wie die Richter es formulierten: der Umstand, dass der IT-Berater über Jahre hinweg hauptsächlich dort gearbeitet hatte. Mittlerweile ist der Fall zur Revision beim Bundesfinanzhof anhängig.

 

Anmerkung: noch mehr Begriffsverwirrung

Für den Steuerabzug von Fahrtkosten gemäß Einkommensteuergesetz ist die Definition von „Betriebsstätte“, die sich in der Abgabenordnung findet, nicht von Belang (§ 12 AO). Die Festlegung dort betrifft vielmehr den Betriebskostenabzug beispielsweise für Geschäftsausstattungen.

 

Und was bedeutet das nun praktisch?

Betriebsstätten von Selbstständigen können nicht nach denselben Kriterien bestimmt werden wie die erste Tätigkeitsstätte von Arbeitnehmern. Dieser Standpunkt des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz machte für den IT-Experten, der geklagt hat, keinen praktischen Unterschied: Er durfte trotzdem keine Auswärtstätigkeit geltend machen.

Für andere Selbstständige könnte diese Auffassung jedoch andere Folgen haben – wenn der Bundesfinanzhof sie bekräftigt. Das gilt zum Beispiel im Fall mehrerer Standorte, die regelmäßig aufgesucht werden: Ob dann nur einer von ihnen, und zwar der nächstgelegene, als „erste Betriebsstätte“ einzuordnen ist, wäre zumindest fraglich. Auch die Übernahme von Betriebsstätten-Kriterien wie „ist dort pro Woche zwei volle Tage tätig“ oder „ist dort ein Drittel der Arbeitszeit tätig“ wäre schwer zu rechtfertigen.

Je nach Ausgang des Verfahrens vor dem BFH könnte für manche Selbstständige, die nach Auffassung des Finanzamt eine Betriebsstätte haben, diese Einschränkung wegfallen. Damit wäre der Weg zum Abzug höherer Fahrtkosten frei. Umgekehrt wäre womöglich die doppelte Haushaltsführung gefährdet.

Wer selbstständig ist und davon profitiert, keine Betriebsstätte beim Kunden zu haben, sollte möglicherweise deshalb jetzt in der Steuererklärung volle Reisekosten für die Fahrten zum Kunden geltend machen. Allerdings hängt das richtige Vorgehen immer vom individuellen Fall ab. Besprechen Sie Ihr Vorgehen mit der Steuerberaterin oder dem Steuerberater.

 

Lektüretipps

Weiterführende Informationen zu Rechts- und Steuerthemen finden Sie im orgaMAX-Blog und im Newsletter-Archiv: