Wo Selbstständige eine Betriebsstätte haben, wirkt sich direkt auf die Fahrt- und Reisekosten aus, die sie als Betriebsausgaben absetzen können. Allerdings ist längst nicht immer auf Anhieb klar, ob beziehungsweise wo eine Betriebsstätte existiert. Wie so oft im deutschen Steuerrecht: Die Details entscheiden – und selbst die Juristen sind sich untereinander uneinig.
In vielen Fällen ist die Sache unstrittig. Wenn Sie üblicherweise an Arbeitstagen morgens von zuhause aus in Ihr Büro, in Ihre Werkstatt, Ihr Ladengeschäft oder Ihre Gasträume fahren und dort den Tag über fleißig sind, dann liegt dort am Sitz Ihres Unternehmens auch Ihre Betriebsstätte.
Suchen Sie dagegen Ihre wechselnden Kunden jeweils zuhause auf, und haben Sie außer einem Heimbüro keine Geschäftsräume, dann haben Sie keine Betriebsstätte. Das kann zum Beispiel für einen Handelsvertreter gelten, für eine Personal Trainerin, einen mobilen Hundefriseur oder einen selbstständiger Bauhandwerker, der auf wechselnden Baustellen arbeitet.
In anderen Fällen ist die Frage schwieriger. Das ist etwa dann der Fall, wenn eine selbstständige IT-Expertin oder ein freier Marketing-Berater für längere Zeit einen Großteil der Arbeitszeit bei einem Kunden vor Ort tätig ist. Dann stellt sich die Frage, ob dort beim Kunden ihre Betriebsstätte liegt.
Ein Homeoffice, die Arbeitsecke im Wohnzimmer und selbst ein Arbeitszimmer von Selbstständigen sind nach höchstrichterlicher Entscheidung keine Betriebsstätte (BFH, 13.05.2015 - III R 59/13) Dafür sollten die betrieblich genutzten Räume von der Wohnung abgetrennt und öffentlich, das heißt über einen eigenen Eingang und nicht nur von den Wohnräumen aus zugänglich sein.
Dagegen muss eine Betriebsstätte eines Selbstständigen nicht in seiner „Verfügungsmacht“ stehen. Sie ist also nicht auf Geschäftsräume beschränkt, deren Eigentümer oder Mieter der Selbstständige ist. Auch ein längerfristig genutztes Büro beim Kunden oder ein externer Seminarraum können grundsätzlich Betriebsstätte sein.
Selbst ein öffentlicher Ort oder ein bestimmtes „weiträumiges Tätigkeitsgebiet“, das ein Selbstständiger immer wieder aufsucht, kann einer Betriebsstätte entsprechen. Das wäre beispielsweise bei einem selbstständigen Artenschutzexperten der Fall, der über viele Monate hinweg vertragsgemäß ein bestimmtes Waldgebiet beobachtet, oder bei einem selbstständigen Paketboten, der ein festes Zustellgebiet hat.
Nehmen wir den Fall der Selbstständigen, die für längere Zeit beim Kunden vor Ort im Einsatz ist: Um die Kosten einer doppelten Haushaltsführung als Betriebsausgaben abzuziehen, ist es ein Vorteil, wenn ihr Einsatzort beim Kunden als Betriebsstätte zählt. Auf die abziehbaren Fahrtkosten wirkt es sich dagegen negativ aus. Der Steuervorteil hängt also unter anderem davon ab, ob man tageweise dorthin pendelt oder vor Ort eine Wohnung mietet.
Angesichts der steuerlichen Folgen gibt es häufig Streit um die Frage, ob eine Betriebsstätte vorliegt oder nicht. Die Finanzverwaltung vertritt den Standpunkt, dass für eine Betriebsstätte von Selbstständigen und für die „ersten Tätigkeitsstätte“ bei Arbeitnehmern die gleichen Kriterien gelten.
Die Gleichsetzung von Betriebsstätte und erster Tätigkeitsstätte wurde in einer Verwaltungsanweisung kurz nach der Reisekostenreform 2014 festgelegt. (BMF-Schreiben vom 24. Oktober 2014 GZ IV C 6 - S 2145/10/10005 :001). Es ist jedoch keineswegs klar, ob die Gleichbehandlung der Betriebsstätte bei Selbstständigen und der ersten Tätigkeitstätte von Arbeitnehmern juristisch gut begründet ist. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat genau dies vor kurzem bestritten.
In dem Verfahren ging es um einen selbstständigen IT-Berater. Er war von März 2016 bis Jahresende 2018 ausschließlich für einen Kunden tätig. Der Berater arbeitete auch im Haus dieses Unternehmens, in der Regel an vier Tagen in der Woche. Dafür mietete er vor Ort eine Wohnung. Einen Tag pro Woche arbeitete er zuhause an seinem Hauptwohnsitz.
Nach einer Betriebsprüfung monierte das Finanzamt, dass er für die Fahrten zum Kunden die Kilometerpauschale und für die Verpflegung dort Mehraufwendungen wegen einer Auswärtstätigkeit geltend gemacht hatte. Für die Prüferin hatte der IT-Berater eine Betriebsstätte bei dem Kunden. Deshalb konnte er nach ihrer Meinung dort keine Verpflegungsmehraufwendungen abziehen. Zudem bestand in ihren Augen eine doppelte Haushaltsführung, so dass nur eine Heimfahrt pro Woche angesetzt werden durfte, und nur mit der Entfernungspauschale.
Der Streit ging vor Gericht. Das Finanzgericht kam zu der Einschätzung, dass der Einsatzort beim Kunden zwar nicht die Definition einer ersten Tätigkeitsstätte erfüllte, aber trotzdem eine Betriebsstätte war.
Um die Definition der ersten Tätigkeitsstätte zu erfüllen, hätte der IT-Experte diesem Arbeitsort „zugeordnet“ sein müssen. Er war jedoch vertraglich nicht verpflichtet, dort zu arbeiten, sondern tat dies freiwillig. Ein Weisungsrecht des Arbeitgebers gab es gegenüber ihm als Selbstständigen nicht.
Trotzdem, so das Finanzgericht, lag eine Betriebsstätte vor (FG Rheinland-Pfalz, 19.06.2024 - 1 K 1219/21). Hauptgrund dafür war die „Regelmäßigkeit des Aufsuchens“, wie die Richter es formulierten: der Umstand, dass der IT-Berater über Jahre hinweg hauptsächlich dort gearbeitet hatte. Mittlerweile ist der Fall zur Revision beim Bundesfinanzhof anhängig.
Für den Steuerabzug von Fahrtkosten gemäß Einkommensteuergesetz ist die Definition von „Betriebsstätte“, die sich in der Abgabenordnung findet, nicht von Belang (§ 12 AO). Die Festlegung dort betrifft vielmehr den Betriebskostenabzug beispielsweise für Geschäftsausstattungen.
Betriebsstätten von Selbstständigen können nicht nach denselben Kriterien bestimmt werden wie die erste Tätigkeitsstätte von Arbeitnehmern. Dieser Standpunkt des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz machte für den IT-Experten, der geklagt hat, keinen praktischen Unterschied: Er durfte trotzdem keine Auswärtstätigkeit geltend machen.
Für andere Selbstständige könnte diese Auffassung jedoch andere Folgen haben – wenn der Bundesfinanzhof sie bekräftigt. Das gilt zum Beispiel im Fall mehrerer Standorte, die regelmäßig aufgesucht werden: Ob dann nur einer von ihnen, und zwar der nächstgelegene, als „erste Betriebsstätte“ einzuordnen ist, wäre zumindest fraglich. Auch die Übernahme von Betriebsstätten-Kriterien wie „ist dort pro Woche zwei volle Tage tätig“ oder „ist dort ein Drittel der Arbeitszeit tätig“ wäre schwer zu rechtfertigen.
Je nach Ausgang des Verfahrens vor dem BFH könnte für manche Selbstständige, die nach Auffassung des Finanzamt eine Betriebsstätte haben, diese Einschränkung wegfallen. Damit wäre der Weg zum Abzug höherer Fahrtkosten frei. Umgekehrt wäre womöglich die doppelte Haushaltsführung gefährdet.
Wer selbstständig ist und davon profitiert, keine Betriebsstätte beim Kunden zu haben, sollte möglicherweise deshalb jetzt in der Steuererklärung volle Reisekosten für die Fahrten zum Kunden geltend machen. Allerdings hängt das richtige Vorgehen immer vom individuellen Fall ab. Besprechen Sie Ihr Vorgehen mit der Steuerberaterin oder dem Steuerberater.
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