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Neues Tattoo entzündet sich: Keine Lohnfortzahlung

Geschrieben von orgaMAX Redaktionsteam | 07.08.25 06:00

Das neu gestochene Tattoo einer Mitarbeiterin entzündet sich. Sie fällt einige Tage aus. Der Arbeitgeber verweigert die Lohnfortzahlung. Die Arbeitsgerichte geben ihm Recht.

 

Entzündetes neues Tattoo, Ausfalltage – und Streit über die Lohnfortzahlung

„Nach einer Tätowierung muss damit gerechnet werden, dass sich die tätowierte Hautstelle entzündet“. So steht es im Leitsatz einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein. Dabei ging es dem Gericht nicht um Tipps zur Gesundheit, sondern um einen handfesten arbeitsrechtlichen Konflikt – Streit um die Lohnfortzahlung.

Eine Pflegefachkraft aus dem Raum Flensburg hatte sich ein Tattoo stechen lassen, das sich kurz darauf entzündete. Sie wurde für fünf Tage krankgeschrieben.

Im Regelfall muss der Arbeitgeber für krankheitsbedingte Ausfalltage bis zu sechs Wochen lang den Lohn fortzahlen. Doch bei einer selbstverschuldeten Arbeitsunfähigkeit geht dieser Anspruch verloren. Das steht ausdrücklich im Entgeltfortzahlungsgesetz (§ 3 Abs. 1 EntgFZ, einen Überblick liefert „Lohnfortzahlung aus Arbeitgeber-Sicht“).

Deshalb verweigerte der Pflegedienst seiner Mitarbeiterin die Bezahlung der Abwesenheitstage. Er verbuchte sie vielmehr als „unbezahlte Freizeit“. Daraufhin klagte die Arbeitnehmerin.

 

Das Landesarbeitsgericht sagt: selbst schuld

Bereits das Arbeitsgericht Flensburg in erster Instanz betrachtete die durch die Tätowierung ausgelöste Entzündung als selbstverschuldet. Die Richter am Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein sahen es in der zweiten Instanz genauso (LAG Schleswig-Holstein, 22.05.2025 - 5 Sa 284 a/24).

Dabei wandten sie ein Argument, das die Arbeitnehmerin vorgebracht hatte, gegen sie. Die Frau hatte darauf hingewiesen, dass Tätowieren nur in ein bis fünf Prozent der Fälle zu Komplikationen führe. Das sei „ein sehr geringes Risiko“. Die Richter am Landesarbeitsgericht bewerteten diese Statistik anders. Sie meinten, bei dieser Prognose hätte die Frau mit Komplikationen rechnen müssen. Medikamenten-Nebenwirkungen mit dieser Wahrscheinlichkeit würden als „häufig“ angegeben. Da sie das Risiko in Kauf genommen hatte, beruhte die Arbeitsunfähigkeit dem Urteil zufolge auf eigenem Verschulden. Anspruch auf Lohnfortzahlung bestand nicht.

Ob das Urteil Bestand haben wird, ist noch offen. Im Moment läuft eine Nichtzulassungsbeschwerde, Ziel ist die Revision beim Bundesarbeitsgericht.

 

Kein verständiger Mensch lässt sich tätowieren – wirklich?

Sind Tattoos schön und sinnvoll? Daran scheiden sich nach wie vor die Geister. Kaum bestreiten lässt sich, dass die Stechkunst längst ein Mainstream-Phänomen darstellt. Fast die Hälfte der jüngeren Erwachsenen ist tätowiert.

Ob es angesichts solcher Zahlen sinnvoll ist, einer Arbeitnehmerin vorzuhalten, sie habe mit dem Besuch im Tattoo-Studio „in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise“ verstoßen und „ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten“ gezeigt, wie es die Urteilsbegründung formuliert?

 

Kosmetische Operationen

Die Lohnfortzahlung ist auch gefährdet, wenn es nach einer Schönheitsoperation zu Infektionen oder anderen medizinische Problemen kommt. Voraussetzung ist, dass für den Eingriff keine medizinische Indikation vorliegt.

Wenn nach einer rein ästhetischen Brustoperation oder einer Haarverpflanzung Komplikationen auftreten, sind die Betroffenen zwar arbeitsunfähig. Den Lohn muss der Arbeitgeber ihnen jedoch nicht weiterzahlen. Anders ist die Situation, wenn Maßnahmen der plastischen Chirurgie ärztlich veranlasst und medizinisch beziehungsweise psychotherapeutisch begründet sind. In solchen Fällen ist in der Regel der Medizinische Dienst der Krankenversicherung involviert.

Dagegen können bei medizinischen Komplikationen nach einer kosmetischen Operation ohne Indikation auch die Krankenkassen den Betroffenen Ärger bereiten. Sie haben das Recht, die Versicherten ganz oder teilweise an den Behandlungskosten zu beteiligen und bereits gezahltes Krankengeld zurückzufordern (§ 52 Abs. 1 SGB V). Das gilt bei Tätowierungen und Piercings ebenfalls.

 

Risikosportarten

Ein anderes Gebiet, auf dem es immer wieder zum Streit um Lohnfortzahlung kommt, sind Risikosportarten. Schon 1981 stellte das Bundesarbeitsgericht fest, dass Drachenfliegen keine besonders gefährliche Sportart ist (BAG, 07.10.1981 - 5 AZR 338/79). Deshalb war ein dabei erlittener Beinbruch nicht automatisch selbstverschuldet.

Ähnlich sah es das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in Bezug auf den Motorradrennsport. (LAG Rheinland-Pfalz, 29.10.1998, 5 Sa 823/98). Eine Klausel im Arbeitsvertrag, die die Lohnfortzahlung nach Rennunfällen ausschloss, war deshalb wirkungslos. Auch sonst war der Versuch, unter Verweis auf Risikosportarten die Lohnfortzahlung zu verweigern oder das Krankengeld zurückzufordern, selten erfolgreich. So wurden Verletzungen durch Fußball, Amateurboxen, den Skisport und das Inline-Skating ebenfalls als nicht selbstverschuldet eingeordnet.

Eine der wenigen Ausnahmen stammt vom Arbeitsgericht Hagen, das vor Jahren Kickboxen „wegen unübersehbaren Verletzungsrisikos“ als gefährlich einstufte (ArbG Hagen, 15.09.1989 - 4 Ca 648/87). Zitat aus der Entscheidung: „Die Kick-Boxer fallen zur Überzeugung der Kammer auf eine Art und Weise übereinander her, dass es selbst dem geübten Kick-Boxer nicht möglich ist, ohne mehr oder weniger schwere Verletzungen aus dem Kampf hervorzugehen.“ Ob diese Entscheidung heute noch so getroffen werden würde, sei dahingestellt.

Allerdings kann es im Einzelfall trotzdem gute Gründe geben, die Lohnfortzahlung zu verweigern. Das gilt vor allem dann, wenn jemand eine Sportart mit hohem Risikopotenzial ausübt und sich dabei nicht an Sicherheitsvorschriften, das Regelwerk oder andere Verhaltensregeln hält. Wer das eigene Leistungsvermögen auf besonders leichtsinnige Art überschätzt, verliert sein Recht auf Lohnfortzahlung.

 

Alkohol, Drogen, Gewaltvorfälle

Relativ eindeutig ist die Rechtslage, wenn Mitarbeiter betrunken oder unter Drogeneinfluss zu Schaden kommen. Das gilt vor allem dann, wenn der Konsum zu leichtsinnigem Verhalten führte. Stürzt ein Arbeitnehmer mit zwei Promille vom Fahrrad und verletzt sich schwer, muss er sich in der Regel darauf einstellen, keine Lohnfortzahlung zu erhalten. Anders kann die Lage sein, wenn er alkoholkrank ist – denn dann ist sein Trinkverhalten möglicherweise nicht mehr steuerbar.

Ein weiterer typischer Fall von selbstverschuldeter Arbeitsunfähigkeit ohne Anspruch auf Bezahlung sind Verletzungen nach einer selbst angezettelten Prügelei.

 

Keine Arbeitsunfähigkeit während des Tattoo-Termins

Der oben geschilderte Fall bezog sich auf Komplikationen nach dem Anfertigen der Tätowierung. Bei den Terminen zum Stechen des Tattoos selbst gibt es keine Grauzone: Sie können nicht als Arbeitsunfähigkeit bescheinigt werden. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss der gesetzlichen Krankenkassen in seiner „Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie“ ausdrücklich festgelegt. Eine „AU“ darf von Ärzten dafür ebenso wenig ausgestellt werden wie für eine „nicht durch Krankheit bedingte Sterilisation“ sowie „kosmetische und andere Operationen ohne krankheitsbedingten Hintergrund“.

Bei solchen Terminen besteht eindeutig kein Lohnfortzahlungsanspruch und es gibt kein Recht, sie während der Arbeitszeit wahrzunehmen.

 

Schweigepflicht und Arbeitnehmerdatenschutz

In vielen Fällen bleibt die juristische Diskussion um den Lohnfortzahlungsanspruch Theorie. Wenn der Arzt eine entzündete frische Tätowierung behandelt und den oder die Betroffene gleichzeitig krankschreibt, erfährt der Arbeitgeber in vielen Fällen zunächst einmal nichts vom Grund der Abwesenheit. Selbst wenn ihm gerüchteweise zu Ohren kommt, dass ein neues Tattoo die Ursache des Fehlens war, kann er vom Arbeitnehmer keine Auskunft über gesundheitliche Dinge einfordern. Der muss ihm grundsätzlich auch nichts über sein Privatleben berichten.

Im Streitfall kann der Arbeitgeber zwar vor dem Arbeitsgericht je nach Sachlage die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzweifeln. Dann hat der Mitarbeiter unter Umständen seinen Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. In der Praxis sollten bei dieser Form der Eskalation die Erfolgsperspektiven jedoch gut abgewogen werden.

 

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