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Das digitale Kaufrecht: Die Regeln für den Verkauf von elektronischen Waren, Dienstleistungen und Inhalten

10. Aug. 2022
7 MIN

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Bereits seit Januar 2022 gilt ein neues Kaufrecht, wenn digitale Produkte an Verbraucherinnen und Verbraucher verkauft werden. Die neuen Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch regeln den Handel mit und Vertrieb von digitalen Waren und Dienstleistungen, etwa die Gewährleistung bei Mängeln. Unternehmer und Selbstständige, die digitale Produkte an Verbraucher verkaufen, sollten die Änderung kennen.

Die Reform des Kaufrechts

Zum 01. Januar 2022 traten umfassende Änderungen im Kaufrecht gegenüber Verbrauchern in Kraft. Dabei wurde auch ein neuer, digitaler Zweig des Kaufrechts geschaffen: Regelungen für Verbraucherverträge über digitale Produkte und Dienstleistungen. Sie finden sich in den neu eingeführten §§ 327 bis 327s BGB.

Damit gibt es nun drei verschiedene Fälle, zwischen denen das Bürgerliche Gesetzbuch unterscheidet (§§ 475, 475a und 475b BGB): Das Kaufrecht für analoge Waren, das Kaufrecht für digitale Produkte und digitale Dienstleistungen sowie das Kaufrecht für Waren mit digitalen Elementen.

Das neue digitale Kaufrecht

  • Das neu gefasste digitale Kaufrecht gilt, wenn es um den Verkauf bzw. Vertrieb von digitalen Produkten, Inhalten und Dienstleistungen an Verbraucher geht. Es gilt nicht für den Verkauf bzw. Vertrieb an andere Unternehmen und Selbstständige.
  • Ob die Ware den Kunden per Internet bereitgestellt oder auf einem Datenträger wie einem USB-Stick übermittelt wird, ist gleichgültig. Gleiches gilt für den Weg, auf dem eine digitale Dienstleistung erbracht wird, solange sie in digitaler Form erfolgt.
  • Falls nicht-digitale Waren oder Dienstleistungen mit digitalen im Paket verkauft werden („Waren mit digitalen Elementen“), fallen die digitalen Bestandteile unter das digitale Kaufrecht, die konventionellen, beweglichen Elemente dagegen unter die Vorgaben des klassischen Kaufrechts.
    Das gilt beispielsweise für eine Heimüberwachungskamera, die im Paket mit einer Smartphone-App und einem Cloudspeicher für die Aufnahmen vertrieben wird: Für das Gerät selbst gilt klassisches Kaufrecht, für die rein elektronischen Bestandteile das neue digitale Kaufrecht. Im Fall einer Reklamation ist damit entscheidend, was genau beanstandet wird.
  • Die Regelungen gelten ausdrücklich auch dann, wenn der Verbraucher oder die Verbraucherin für ein Digitalprodukt nicht mit Geld bezahlt, sondern im Gegenzug personenbezogene Daten zur Verfügung stellt. Auf diesem Tauschhandel beruhen viele kostenlos nutzbare Apps und Online-Dienste: Die Anbieter lassen sich das Recht einräumen, Nutzungs- und andere Daten ihrer Kunden zu speichern und auszuwerten. Damit unterliegt das Vertragsverhältnis neben dem Datenschutzrecht auch dem digitalen Verbraucher-Kaufrecht.
  • Es gibt auch Ausnahmen: Verträge über Telekommunikationsdienstleistungen, Finanzdienstleistungen sowie Behandlungsverträge fallen nicht unter das digitale Kaufrecht, auch wenn die Dienstleistung auf elektronischem Weg erbracht wird.

Das neue Recht greift immer dann, wenn der Vertragsabschluss seit dem 01. Januar 2022 erfolgt ist. Es gilt aber außerdem, wenn bei schon zuvor abgeschlossenen Verträgen die Bereitstellung des elektronischen Produkts in die Zeit seit Jahresbeginn fällt.

Einige Praxisbeispiele für digitale Produkte

  • die kostenpflichtige, privat bezahlte Mitgliedschaft einer Angestellten in einem beruflichen Online-Netzwerk
  • die Online-Beratung von Eigenheim-Besitzern durch einen Gebäudeenergieberater
  • ein privat bezahlter, kostenpflichtiger Online-Workshop zur beruflichen Fortbildung
  • die Software, die zu einem Fitness-Tracker dazu geliefert wird, sowie der Cloud-Speicher, auf dem die persönlichen Fitness-Daten abgelegt werden
  • kostenpflichtige E-Books
  • Software zur Überwachung der Haushaltsausgaben oder zur Bearbeitung von Fotos
  • die Gestaltung und fortlaufende Pflege einer privaten Website durch eine Webdesignerin

Der Unternehmer muss die Bereitstellung beweisen

Grundsätzlich haben Verbraucher Anspruch darauf, dass ihnen digitale Produkte und Dienstleistungen unverzüglich bereitgestellt werden. Das gilt nicht, wenn ausdrücklich eine andere Frist oder ein anderer Termin vereinbart wurde.

Im Streitfall liegt die Beweispflicht dafür, dass der Download bzw. der Zugang zu dem digitalen Inhalt oder Produkt möglich war, beim Anbieter (§ 327b BGB). Wenn die Bereitstellung trotz Aufforderung durch den Verbraucher oder die Verbraucherin weiterhin nicht möglich ist, können diese den Vertrag beenden. Das Unternehmen muss daraufhin bereits erhaltenes Geld grundsätzlich wieder zurückzahlen.

Für Anbieter digitaler Produkte und Dienstleistungen ist es also wichtig, im Zweifel das Funktionieren ihrer Download-Server oder anderer notwendiger Technik nachweisen zu können.

Digitale Produktmängel

Kundinnen und Kunden haben Anspruch auf ein digitales Produkt ohne Mängel. Das gilt für digitale Waren ebenso wie für digitale Dienstleistungen. Das digitale Verbrauchsgüterkaufrecht kennt drei Arten von Produktmängeln (§ 327e BGB):

  1. Das Produkt entspricht nicht den subjektiven Anforderungen: Es hat nicht die Eigenschaften und Ausstattungen, die mit dem jeweiligen Verbraucher oder der Verbraucherin vertraglich vereinbart wurden. Menge, Funktionalität, Kompatibilität mit anderer Technik, das Zubehör, Anleitungen, der Kundendienst oder die bereitgestellten Aktualisierungen weichen vom vertraglich Zugesicherten ab.
  2. Das Produkt entspricht nicht den objektiven Anforderungen. Das bedeutet, Eigenschaften wie Funktionalität oder Kompatibilität entsprechen nicht dem, was die Verbraucherin oder der Verbraucher beim Kauf erwarten konnten. Kunden können beispielsweise erwarten, dass das Produkt sich für die „gewöhnliche Verwendung“ eignet. Als Teil der üblichen Eigenschaften können sie davon ausgehen, dass ihr Produkt markt- bzw. branchenübliche Eigenschaften erfüllt und die Versprechen einlöst, die Werbeaussagen oder Testversionen machen.
  3. Das Produkt lässt sich nicht installieren bzw. integrieren. Ein Mangel ist es auch, wenn zu dem digitalen Produkt keine ausreichende Anleitung zur Installation bzw. Integration (Anschluss an andere Geräte, Herstellen einer Netzwerkverbindung etc.) mitgeliefert wird.

Grundsätzlich darf man ein digitales Produkt zwar auch dann verkaufen, wenn es einen objektiven Mangel aufweist, zum Beispiel einen geringeren Funktionsumfang als marktüblich. Das muss aber ausdrücklich vertraglich vereinbart werden. Außerdem muss diese „negative Beschaffenheitsvereinbarung“ der Kundin oder dem Kunden bewusst sein. Eine solche Klausel darf nicht im Kleingedruckten versteckt werden (§ 327h BGB).

Übrigens: Ein Produktmangel ist es auch, wenn die Nutzung eines digitalen Produkts ohne Verletzung der Rechte Dritter nicht möglich ist. Das betrifft zum Beispiel Verletzungen fremder Patentrechte, Urheberrechte, Datenschutzrechte oder Persönlichkeitsrechte, die gewissermaßen „eingebaut“ sind.

Pflicht zu Aktualisierungen

Wer digitale Waren oder Dienstleistungen verkauft, muss für diese grundsätzlich auch Aktualisierungen bereitstellen, z. B. Sicherheits-Updates. Das ist Pflicht, wenn solche Updates vereinbart wurden, aber auch dann, wenn etwa die Nutzung einer Software oder einer Plattform das Update notwendig ist, um die weitere Nutzung zu ermöglichen. Außerdem muss er die Kundinnen und Kunden über neu bereitgestellte Aktualisierungen informieren.

Wie lange Aktualisierungen angeboten werden müssen, hängt vom Einzelfall ab. Ausschlaggebend ist gegebenenfalls der Vertragszeitraum. Dazu enthält das Gesetz in § 328f BGB eine weitere, sehr viel weniger klare Vorgabe. Demnach besteht die Pflicht zu Aktualisierungen in dem Zeitraum, „den der Verbraucher aufgrund der Art und des Zwecks des digitalen Produkts und unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags erwarten kann“. Was das konkret bedeutet, werden wohl die Gerichte bestimmen.

Die Aktualisierungspflicht gilt ausdrücklich auch bei Waren mit digitalen Elementen (§ 475b BGB).

Reaktionsmöglichkeiten im Fall eines Mangels

Weist das digitale Produkt einen Mangel im Sinne des Kaufrechts auf, haben die Käufer drei Reaktionsmöglichkeiten zur Auswahl:

  • Sie können Nacherfüllung verlangen, z. B. die Bereitstellung einer funktionstüchtigen Software oder eine Nachbesserung an der Funktionalität des Online-Dienstes.
  • Sie können den Preis mindern, und zwar anteilig auf das Preisniveau, das dem mangelhaften digitalen Produkt entspricht.
  • Sie können den Vertrag beenden. In diesem Fall muss der Anbieter bereits geleistete Zahlungen zurückerstatten.

Bei unerheblichen Mängeln dürfen Kunden den Vertrag nicht beenden, außer es handelt sich um ein Geschäft des Typs „Nutzung von Kundendaten gegen Nutzung des digitalen Produkts“.

Die Ansprüche von Kunden aufgrund eines Mangels verjähren zwei Jahre nach Bereitstellung des digitalen Produkts. Im Fall einer fehlenden oder mangelhaften Aktualisierung 12 Monate nach Ende der Bereitstellungspflicht.

Übrigens: Ein Widerruf der Einwilligung in die Nutzung personenbezogener Daten führt nicht automatisch zum Vertragsende. Auf diese Art können Verbraucher den Kaufvertrag nicht einfach zu Fall bringen. (§ 327q BGB)

Änderungen an digitalen Produkten

An dauerhaft bereitgestellten digitalen Produkten wie Online-Anwendungen, Online-Plattformen, virtuellem Speicher etc. kann der Anbieter nicht einfach Änderungen vornehmen, wenn diese die Funktionalität einschränken oder verändern. Vielmehr muss der Vertrag die geplante Änderung gestatten und dafür ein triftiger Grund vorliegen. Außerdem müssen die Kunden vorher rechtzeitig informiert werden. Ein nachträglicher, zwangsweiser Preisaufschlag für eine Änderung ist ebenfalls ausgeschlossen (§ 327r BGB). Natürlich ist es auch weiterhin möglich, Bonusfunktionen als freiwilliges Zusatzangebot gegen Preisaufschlag anzubieten.

Rückgriffsrecht

Unternehmen, die zur Bereitstellung oder den Vertrieb ihrer digitalen Produkte die Dienste eines anderen Unternehmens nutzen, haften im Fall der Nichtbereitstellung zwar zunächst einmal selbst gegenüber ihren Kunden Wenn der Vertriebs- oder Download-Partner für den Ausfall verantwortlich ist, haben sie jedoch ein ausdrückliches Rückgriffsrecht gegenüber dem säumigen Geschäftspartner (§ 327u BGB).

Fazit: Um was sollten Selbstständige und Unternehmen sich jetzt kümmern?

  • Das neue digitale Kaufrecht gilt nicht nur für Angebote, die komplett digitaler Art sind, wie Software oder der Zugang zu Online-Plattformen. Mittlerweile gehören zu sehr vielen Produkten und Dienstleistungen digitale Zusatzangebote oder Komponenten, etwa eine App. Damit greift auch das digitale Kaufrecht.
  • Wer digitale Waren oder Dienstleistungen anbietet und Verbraucherinnen sowie Verbraucher zu seinen Kunden zählt, sollte dringend die eigenen AGB, Vertragsmuster und Belehrungen überarbeiten. Da sich die Rechtsgrundlage geändert hat, müssen die Klauseln angepasst werden.
  • Es lohnt sich, wenn bei der Überarbeitung der Vertrags- und Informationsdokumente auf maximale Transparenz geachtet wird. Das verringert die Wahrscheinlichkeit, dass Käuferinnen und Käufer enttäuschte Erwartungen an das Produkt als Mangel darstellen und vom Vertrag zurücktreten können.
  • Die Rolle der objektiven Anforderungen wurde im neuen Kaufrecht deutlich aufgewertet. Noch gibt es keine Rechtsprechung dazu, aber die Tatsache, dass marktübliche Erwartungen im Fall der Enttäuschung einen Produktmangel begründen, könnte für Anbieter und Verkäufer zum Stolperstein werden.

 

 

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