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Selbstständigkeit aufgeben, um Unterhalt zu zahlen?

Geschrieben von orgaMAX Redaktionsteam | 05.12.24 07:00

Unterhaltspflichtige Selbstständige können bei geringem Einkommen zum Wechsel in einen Angestelltenjob verpflichtet sein. Andernfalls droht die Festlegung des Unterhalts gemäß einem fiktiven Einkommen. Entscheidend ist allerdings stehts der Einzelfall. Ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm zeigt, dass auch mit geringen Einnahmen die Teilzeit-Selbstständigkeit eine Option bleiben kann.

 

Wegen Unterhaltspflichten die Selbstständigkeit beenden?

Wenn Ehen oder Beziehungen scheitern, ergibt sich oft eine Unterhaltspflicht.

  • Ob tatsächlich Unterhalt gezahlt werden muss, hängt ebenso vom Einzelfall ab wie die Unterhaltshöhe.
  • Eltern sind grundsätzlich gegenüber minderjährigen oder in Ausbildung stehenden Kindern unterhaltspflichtig.
  • Nach einer Trennung können die Ehepartnerin oder der Ehepartner möglicherweise Trennungsunterhalt bis zum Scheidungstermin verlangen.
  • Je nach Situation kann zudem nach der Scheidung Betreuungs- oder Aufstockungsunterhalt fällig werden.
  • Besteht ein Unterhaltsanspruch, haben Unterhaltspflichtige alles Zumutbare zu tun, damit ihr Einkommen dafür ausreicht.
  • Umgekehrt sollen Unterhaltsberechtigte für eigenes Einkommen sorgen und so ihren Unterhaltsbedarf senken, soweit das möglich und zumutbar ist.

 

Unterhaltsrecht für Selbstständige: Leistungsfähig durch Wechsel in eine Beschäftigung?

Bei Selbstständigen kann die Rechtslage zu besonderen Problemen führen. Fallen die Unterhaltspflicht oder der Unterhaltsanspruch in eine schwierige Unternehmensphase mit geringen Gewinnen, wird das Fortführen der Selbstständigkeit unterhaltsrechtlich zum Problem.

Bei fehlenden oder niedrigen Einnahmen soll die selbstständige Tätigkeit grundsätzlich für ein besser bezahltes Arbeitsverhältnis aufgegeben werden. So verlangen es Gesetz und Familiengerichte. Weigern sich Selbstständige, ihre finanzielle „Leistungsfähigkeit“ durch den Wechsel in eine Beschäftigung zu steigern, müssen sie mit der Festsetzung eines fiktiven Einkommens rechnen.

Der Familienrichter bestimmt dann die Unterhaltshöhe anhand dessen, was der oder die Betreffende seiner Einschätzung nach als Angestellte verdienen würde. Unterhaltsverpflichtete Selbstständige müssen dadurch mehr bezahlen. Sind sie unterhaltsberechtigt, erhalten sie weniger oder gar nichts.

 

Trennungsunterhalt: Freiberufliche Therapeutin darf teilzeit-selbstständig bleiben

Allerdings müssen Selbstständige auch bei geringen Einnahmen nicht in jedem Fall aus Unterhaltsgründen zu Arbeitnehmern werden. In einem Konflikt um Trennungsunterhalt bestätigte das Oberlandesgericht Hamm, dass eine Teilzeit-Freiberuflerin trotz geringer Einnahmen an dieser Tätigkeit festhalten durfte. Dabei behielt sie ihren Unterhaltsanspruch nach Trennung vom Ehemann.

Nach der Trennung war die Frau mit den beiden Kindern ausgezogen. Zuvor hatte die Frau schon eine Therapeutenausbildung gemacht und arbeitete stundenweise freiberuflich in einer Praxis. Nach der Trennung steigerte sie ihre Wochenarbeitszeit schrittweise von zunächst 12 auf 22 Wochenstunden.

Der Mann wollte ihren Anspruch auf Trennungsunterhalt nicht akzeptieren. Er argumentierte, dass sie mit einer Vollzeit-Anstellung ausreichend verdient hätte, und beantragte die Anrechnung eines fiktives Gehalt von etwa 2.600 Euro monatlich. Zudem sollte sie ihre Zahlungen zum Versorgungswerk nicht als notwendige Ausgaben abziehen dürfen.

Das Oberlandesgericht Hamm sah es anders. Der Therapeutin sei „weder eine Ausweitung ihrer selbstständigen Tätigkeit noch der Wechsel in eine angestellte Tätigkeit zumutbar“ (OLG Hamm, 04.07.2024 - II-4 UF 35/24). Nach Ansicht der Richter erfüllte sie mit den 22 Wochenstunden ihre Erwerbspflicht. Ausschlaggebend war, dass überwiegend sie die Kinder betreute und ihre selbstständige Tätigkeit ihr dabei zeitliche Flexibilität gab. So könne sie beispielsweise Patienten absagen, wenn ein Kind krank sei. Zudem hatte die Frau angegeben, dass sie auf einen eigenen Kassensitz warte, um sich endgültig selbstständig zu machen.

 

Oft halten Gerichte das Beenden der Selbstständigkeit für zumutbar

Im geschilderten Fall ging es um Trennungsunterhalt. Die Freiberuflerin konnte ihre Selbstständigkeit mit pragmatischen Argumenten verteidigen. Einfach übertragen lässt sich die Entscheidung nicht. Erstens ist die Rechtslage bei Unterhaltsansprüchen nach der Scheidung beziehungsweise von Kindern anders. Und zweitens ist das Unterhaltsrecht besonders einzelfallabhängig.

So gibt es eine ganze Reihe von Gerichtsentscheidungen, in denen der Wechsel in eine besser bezahlte Beschäftigung für zumutbar erachtet wurde. Einige Beispiele:

  • Bereits vor Jahren gab der Bundesgerichtshof einem Landwirt zu verstehen, dass er zum Nebenerwerb übergehen oder den Betrieb ganz aufgeben müsse. Er hatte seinen Söhnen keinen Unterhalt gezahlt und sich auf die geringen Erträge aus der landwirtschaftlichen Tätigkeit berufen (BGH, 22.10.1997 - XII ZR 278/95).
  • Im Jahr 2018 fand das Oberlandesgericht OLG Hamm klare Worte für den Geschäftsführer eines Juweliergeschäfts in Form einer GmbH, der die Unterhaltszahlungen für seine beiden Kinder auf 100 Euro im Monat reduzierte. Er hatte seine GmbH-Anteile an seinen Bruder verkauft und verdiente als reiner Geschäftsführer angeblich nur etwa 1.200 Euro. Das Gericht bezweifelte diese Darstellung. Abgesehen davon könne der Mann sich „gegenüber seinen minderjährigen Kindern nicht darauf berufen, eine solche völlig unwirtschaftliche Tätigkeit zu ihren Lasten fortsetzen zu wollen.“ Ihm wurden fiktive Einkünfte angerechnet und ein höherer Unterhalt festgelegt (OLG Hamm, 10.04.2018 - 1 UF 186/17).
  • Ähnlich entschied das Brandenburgische Oberlandesgericht gegen den Inhabers eines Unternehmens für Holz- und Bautenschutz. Im Jahr 2016 hatte er nur noch ein Einkommen von etwas mehr als 8.500 Euro erwirtschaftet und parallel mit Arbeitslosengeld II aufgestockt. Unter diesen Umständen hätte er sich beruflich umorientieren müssen, um den Mindestunterhalt an die bei der Mutter lebenden Töchter bezahlen zu können, so die Richter: „Einem selbstständigen Unternehmer, der nur ein Einkommen unterhalb der Leistungsfähigkeitsgrenze erwirtschaftet, kann die Aufgabe des Unternehmens und die Aufnahme einer abhängigen Arbeit zugemutet werden, wenn er sonst auf längere Zeit nicht zu Unterhaltsleistungen in der Lage ist.“ Eine angemessene Beschäftigung habe er als gelernter Zimmermann mit Sicherheit bekommen können. Als Übergangszeit zur Betriebsschließung seien in der Regel drei bis sechs Monaten ausreichend (OLG Brandenburg, 22.05.2018 - 10 UF 22/16).
  • Das Oberlandesgericht Saarbrücken legte bei einem Vater fiktive Einkünfte zugrunde, der seine Tätigkeit als Hilfsarbeiter aufgegeben hatte, um in Vollzeit einen Online-Shop zu betreiben. In der Folge hatte er die Unterhaltszahlungen für zwei minderjährige Töchter eingestellt. Für die Selbstständigkeit als Online-Händler, mit der er nach eigener Darstellung nur 1.001 Euro pro Monat erzielte, hätte er die mit rund 1.350 Euro monatlich besser bezahlte Hilfsarbeiter-Stelle nicht aufgeben dürfen (OLG Saarbrücken, 28.04.2010 - 9 WF 41/10).

 

Es hängt von den Umständen ab

Noch einmal: Genau wie der zuvor geschilderte Fall der Teilzeit-Freiberuflerin dürfen auch diese Gerichtsentscheidungen nicht verallgemeinert werden. Im Unterhaltsrecht spielen viele Aspekte eine Rolle, solche Fälle lassen sich nicht nach einfachem Schema beurteilen.

Es beginnt schon mit der Frage, ob es um Kindesunterhalt, Trennungsunterhalt oder um den Unterhaltsanspruch früherer Partner nach einer Scheidung geht. Außerdem können viele weitere Aspekte eine Rolle spielen. Dazu gehören die Folgenden:

  • Wer soll Unterhalt bekommen? Bei minderjährigen Kindern gilt eine gesteigerte Unterhaltspflicht. Deshalb müssen Unterhaltsberechtigte zu besonderen Anstrengungen bereit sein. Dazu gehört die Änderung der beruflichen Lebensplanung, um angemessenen Unterhalt bezahlen zu können ( 1603 Abs. 2 BGB). Die sogenannte „gesteigerte Erwerbsobliegenheit“ besteht auch bei Unterhalt für volljährige Kindern unter 21, die studieren oder in Ausbildung sind, nicht aber für Unterhaltszahlungen an Ehepartner nach Trennung oder Scheidung.
  • Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Betreuungsaufwand für kleine Kinder. Wer den Nachwuchs täglich zum Kindergarten bringt, sich um aufgeschlagene Knie und die Mahlzeiten kümmert, kann nur in Teilzeit oder gar nicht arbeiten. Dabei spielen das Alter der Kinder sowie besondere Umstände wie erhöhter Betreuungsbedarf etwa aufgrund von Behinderungen eine Rolle. So machte die in Teilzeit tätige Therapeutin geltend, dass einer ihrer Söhne eine Lernschwäche hatte und besondere Unterstützung bei den Hausaufgaben benötigte. Dies wurde vom Gericht bei der Festlegung des Trennungsunterhalts berücksichtigt. Auch in den ersten Jahren nach einer Scheidung kann dieser Aspekt wichtig werden. Ohne besondere Umstände gibt es Betreuungsunterhalt bis zum dritten Lebensjahr des Kindes.
  • Erzielen Selbstständige nur begrenzte Einkünfte mit ihrem Unternehmen erzielen, kann auch die Wachstums- oder Gewinnprognose von Belang sein. Vielleicht akzeptiert das Gericht den Hinweis auf eine vorübergehende Umsatzdelle oder Schwierigkeiten, die sich aus der Anlaufphase ergeben. Einen Anspruch auf Berücksichtigung solcher Aspekte haben Selbstständige allerdings nicht. Außerdem sollten sie die positive Prognose stichhaltig untermauern können.
  • Wer sich als Selbstständiger arm rechnet, um die Unterhaltshöhe zu drücken, stellt sich damit selbst ein Bein. Ist das angeblich erzielte Einkommen unrealistisch klein, wird das Gericht die Darstellung bezweifeln. Als Indiz wird nicht selten selbst der Verzicht auf Prozesskostenhilfe herangezogen. Vielleicht nehmen die Richter aber auch das niedrige Einkommen als Beleg dafür, dass es keinen Grund gibt, die Selbstständigkeit beizubehalten. In beiden Fällen führen die niedrig angegebenen Einkünfte dazu, dass ein fiktives Einkommen die Unterhaltshöhe bestimmt.

Unterhaltsschulden sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Säumige Unterhaltsschuldner müssen mit einer Strafanzeige und Ermittlungen rechnen. Die Verletzung der Unterhaltspflicht stellt eine Straftat dar (§ 170 StGB).

 

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