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Krankengeld bei Selbstständigen: Wer entscheidet wann über die Höhe?

15. Nov. 2023
9 MIN

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Gesetzlich krankenversicherte Selbstständige können sich für den Tarif mit Krankengeld entscheiden. Über dessen Höhe gibt es immer wieder Streit. Das Sozialgericht in Frankfurt hat vor kurzem in gleich drei Fällen darüber entschieden, ob das Krankengeld bei höherem Einkommen nachträglich anzupassen ist, analog zu den Beiträgen freiwillig versicherter Selbstständiger.

Krankengeld für Selbstständige: das Wichtigste im Überblick

  • Krankengeld bedeutet: bei Arbeitsunfähigkeit zahlt die Krankenkasse nach einer gewissen Zeit und für eine bestimmte Dauer pro Ausfalltag einen Anteil des entsprechend ausgefallenen Arbeitseinkommens. Im Grundmodell beginnt Krankengeld nach sechs Wochen Krankheit, wird für maximal 72 Wochen gezahlt und beträgt 70 Prozent des regelmäßigen Arbeitseinkommens, das vor der Arbeitsunfähigkeit bezogen wurde.
  • Selbstständige, die freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sind, fallen anders als pflichtversicherte Angestellte nicht automatisch in den Tarif mit Krankengeldanspruch. Sie können sich für den ermäßigten Beitragssatz entscheiden. Dessen Beiträge liegen um 0,6 Prozentpunkte niedriger und umfassen dafür kein Krankengeld (2023: 14,0 Prozent statt 14,6 Prozent, § 243 SGB V). Oder sie wählen den allgemeinen Beitragssatz mit Krankengeldanspruch.
    Anders ist die Situation bei KSK-Mitgliedern. Sie sind als Selbstständige pflichtversichert und haben deshalb in jedem Fall Anspruch auf Krankengeld.
  • Krankengeld bei Selbstständigen beginnt wie Arbeitnehmern grundsätzlich ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit. Anders als Beschäftigte, bei denen zunächst der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, müssen Selbstständige die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit selbst überbrücken.
  • Krankengeld-Wahltarife für Selbstständige können diese Lücke abfedern. Sie ermöglichen gegen einen Zusatzbeitrag, dass Krankengeld bereits früher gezahlt wird, in der Regel ab dem 15. oder ab dem 22. Krankheitstag. Je nach Tarifgestaltung kann dafür die Bezugsdauer insgesamt kürzer und/oder die Leistung niedriger ausfallen als bei Pflichtversicherten. Es gilt, genau hinzuschauen.
  • Privat krankenversicherte Selbstständige bekommen kein Krankengeld. Private Krankenversicherer bieten stattdessen als Vertragsbaustein sogenannte Krankentagegeld-Versicherungen an. Die Höhe und der Beginn der Zahlungen bei Arbeitsunfähigkeit hängt dabei vom individuellen Versicherungsvertrag ab. Private Krankenversicherungen bieten auch für gesetzlich krankenversicherte Selbstständige Krankentagegeld-Versicherungen an, als private Alternative zum Krankengeld-Wahltarif der gesetzlichen Kassen. Anders als die Kassen dürfen die Privaten dabei Alter und Gesundheitszustand der Versicherungsnehmer berücksichtigen.

Gesetzliche Krankenversicherung bei Selbstständigen

Auch Selbstständige müssen krankenversichert sein. Dies kann entweder in Form einer privaten Krankenversicherung oder über eine freiwillige gesetzliche Krankenversicherung erfolgen. Die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung muss in der Regel spätestens drei Monate nach Gründung beantragt werden. Ein späterer (Wieder-) Eintritt in die gesetzliche Versicherung ist normalerweise nicht möglich, solange die Selbstständigkeit Hauptberuf ist. Außerdem setzt die freiwillige Mitgliedschaft voraus, dass der Gründer oder die Gründerin zuvor gesetzlich krankenversichert waren, und zwar mindestens zwölf Monate am Stück oder insgesamt 24 Monate in den letzten fünf Jahren.

Bestimmte Selbstständige sind gesetzlich pflichtkrankenversichert: entweder, weil sie künstlerisch beziehungsweise publizistisch tätig und deshalb Mitglied der Künstlersozialversicherung sind, oder weil sie parallel angestellt arbeiten und dies den Hauptberuf darstellt.

Weitere Informationen finden Sie in diesen Beiträgen:

Freiwillige gesetzliche Krankenversicherung: Beitragshöhe bei Selbstständigen

Selbstständige tragen (mit Ausnahme von KSK-Versicherten) den gesamten Krankenversicherungsbeitrag selbst, im Gegensatz zu Arbeitnehmern, bei denen der Arbeitgeber die Hälfte übernimmt. Außerdem fließen bei Selbständigen, ebenfalls anders als bei pflichtversicherten Arbeitnehmern, neben dem Arbeitseinkommen auch andere Einkünfte in die Beitragshöhe ein, beispielsweise Mieteinnahmen oder Kapitaleinkünfte.

Während der Lohn von Arbeitnehmern den Kassen monatlich gemeldet wird, werden die Beiträge von Selbstständigen pro Kalenderjahr festgesetzt. Das geschieht zunächst vorläufig, auf Grundlage des letzten per Steuerbescheid festgestellten Einkommens aus einem früheren Jahr. Liegt der Steuerbescheid für das betreffende Jahr vor, werden die Beiträge endgültig festgelegt. Dann kann es bei freiwillig Versicherten zu Nachzahlungen, aber auch zur Rückzahlung von Beiträgen kommen (§ 240 Abs. 4a SGB V). Bei Gründern, zu denen noch kein Steuerbescheid mit selbstständigen Einkünften vorliegt, gilt zunächst ihre Einkommensprognose.

Übrigens: Zur Beitragsbemessung von freiwillig versicherten Selbstständige existiert ein fiktives Mindestentgelt. 2023 liegt es bei 1.131,67 Euro. Die Beitragsberechnung beruht selbst dann auf diesem Betrag, wenn das tatsächliche Einkommen darunter liegt.

Weitere Informationen liefert der Beitrag „Vorläufige GKV-Beiträge für Selbstständige". Die detaillierten Regelungen stehen in den „Einheitlichen Grundsätzen zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder“ des GKV-Spitzenverbands.

Wie viel Krankengeld zahlen die Kassen bei Selbstständigen?

Bei Beschäftigten ist die Situation vergleichsweise einfach: bei ihnen bestimmt der Lohn oder das Gehalt, wie hoch die Krankenversicherungsbeiträge und das Krankengeld ausfallen. Ihr Krankengeld-Anspruch beträgt 70 Prozent ihres Bruttolohns, höchstens jedoch 90 Prozent des Nettolohns, wobei der Bruttolohn auf die Beitragsbemessungsgrenze gedeckelt ist. Im günstigsten Fall ist 2023 somit ein Krankengeld von 116,38 Euro pro Tag möglich.

Auch bei Selbstständigen beträgt der Krankengeldanspruch grundsätzlich 70 Prozent ihres Arbeitseinkommens. Als Grundlage nehmen die Krankenkassen das Einkommen, auf das Beiträge bezahlt wurden, in aller Regel also den letzten Einkommensteuerbescheid.

Für die Krankengeld-Berechnung ist das oben erwähnte fiktive Mindesteinkommen nicht ausschlaggebend. Auch dann, wenn die Beiträge danach berechnet werden, können die Kassen für das Krankengeld das konkrete, geringere Einkommen zugrunde legen. Wurde kein Einkommen mehr erzielt, gibt es auch kein Krankengeld. Dem Mindestbeitrag steht also kein entsprechendes Mindest-Krankengeld gegenüber (z. B. LSG Baden-Württemberg, 23.04.2015 - L 11 KR 5087/14).

Das Problem: Einkommensänderung bei Selbstständigen

Eigentlich sollte das Einkommen aus dem Kalenderjahr vor der Erkrankung über die Krankengeldhöhe entscheiden. Allerdings bezieht sich der letzte Einkommensteuerbescheid, der der Krankenkasse vorliegt, oft auf frühere Jahre. In der Zwischenzeit können sich die Einkommensverhältnisse deutlich geändert haben. Dann zahlt der oder die Selbstständige Beiträge gemäß dem damaligen Einkommen – und erhält im Krankheitsfall auch das Krankengeld auf dessen Basis.

Deshalb wäre es aus Sicht vieler Selbstständiger nur gerecht, dass die Krankengeld-Zahlung ebenfalls nachträglich angepasst wird, falls das Einkommen sich erhöht hat und der Steuerbescheid dafür nun vorliegt.

Rechtsstreit ums Krankengeld: Entscheidung des Sozialgerichts

Über entsprechende Forderungen hatte das Sozialgericht Frankfurt am Main im Juli 2023 gleich drei Mal zu entscheiden. In allen Fällen waren Selbstständige mit freiwilliger gesetzlicher Krankenversicherung für längere Zeit erkrankt und erhielten Krankengeld. Da ihr tatsächliches Einkommen inzwischen jeweils über dem lag, was die Kasse zur Berechnung der Beiträge und der Krankengeldhöhe heranzog, wollten sie eine Krankengeld-Nachzahlung erreichen – mit unterschiedlichem Erfolg:

  • Im ersten Fall hatte eine selbstständige Einzelkauffrau von Februar 2019 bis Juli 2020 Krankengeld erhalten. Dessen Höhe richtete sich nach ihrem Steuerbescheid für 2016. Während ihrer Krankheit reichte die Frau ihre Steuerbescheide für 2017 und 2018 ein. Die führten zwar zu Beitragsnachzahlungen. Ihr Krankengeld wurde jedoch nicht erhöht.
    Zurecht, befand das Sozialgericht. Für die Richter zählte nur das vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Krankengeldberechnung maßgebliche Entgelt (gemäß Steuerbescheid von 2016), unabhängig von Beitragsnachberechnungen. (SG Frankfurt/Main, 03.07.2023 - S 14 KR 160/21)
  • In einem zweiten Fall hatte die Klägerin Erfolg: die Krankenkasse musste ihr Krankengeld nachträglich aufstocken. Die Beiträge der Selbstständigen waren seit April 2021 auf Grundlage des Einkommensteuerbescheids für 2019 festgesetzt worden. Nachdem sie im Januar 2022 erkrankte, wurde ihr auf Grundlage der so festgesetzten Beiträge im Mai 2022 Krankengeld bewilligt. Kurz vor der Bewilligung, im April 2022, hatte sie der Kasse noch den Steuerbescheid für 2020 mit einem höheren Einkommen übermittelt. Trotzdem legte die Krankenkasse ihrem Krankengeldbescheid noch das Einkommen des älteren Bescheids zugrunde.
    Das war für das Sozialgericht ein Fehler. Da der neue Steuerbescheid vor der Entscheidung über das Krankengeld vorlag, hätte die Kasse ihn berücksichtigen müssen. Gleichzeitig merkten die Richter an, dass ein nach der Krankengeldfestsetzung eingereichter Steuerbescheid für 2021 nicht zu einer Nachzahlung führen könne. Ein zweistufiges Verfahren der Krankengeldberechnung mit vorläufiger Festsetzung und späterer Anpassung wie bei der Beitragshöhe habe der Gesetzgeber nicht gewollt. (SG Frankfurt/Main, 21.07.2023 - S 34 KR 1684/22).
  • Im dritten Fall hatte sich eine selbstständige Tagesmutter im Juni 2020 freiwillig gesetzlich krankenversichert. Die Beitragshöhe richtete sich nach ihrer Einkommensprognose im Erhebungsbogen der Krankenkasse: 744 Euro monatlich. Im Januar 2021 wurde sie krank und beantragte Krankengeld ab Februar. Dabei gab sie an, ihr Einkommen belaufe sich auf mehr als 2.200 Euro, fügte jedoch keine Belege bei. Die Kasse berechnete ihr Krankengeld gemäß der ursprünglichen Einkommensprognose.
    Das war korrekt, befand das Gericht. Die Tagesmutter hätte der Krankenkasse bis zur Entscheidung über den Krankengeldanspruch konkrete Anhaltspunkte für ein höheres Einkommen vorlegen müssen. Die Angabe eines höheren Betrags im Krankengeldantrag, ohne Nachweis oder Steuerbescheid, genügte nicht. Zudem schloss das Gericht auch in dieser Entscheidung spätere Anpassung des Krankengeldes aus (SG Frankfurt/Main, 21.07.2023 - S 34 KR 727/21, noch nicht rechtskräftig)

In allen drei Fällen bekräftigte das Sozialgericht ausdrücklich, dass bei freiwillig gesetzlich Versicherten zwar die Beiträge, nicht aber das Krankengeld vorläufig festgesetzt werden, so dass rückwirkende Krankengeld-Nachzahlungen nach der Festsetzung nicht mehr möglich sind. Begründet wird die direkte, endgültige Festlegung damit, dass die „Bewilligung rasch erfolgen“ müsse.

Fazit: Früh eingereichte Steuerbescheide erhöhen das Krankengeld

Wer freiwillig gesetzlich krankenversichert ist, tut bei steigenden selbstständigen Einkünften gut daran, die Einkommensteuererklärung rasch einzureichen. Damit sorgt man zwar früher für eine höhere Neuberechnung der Krankenkassenbeiträge. Die lässt sich jedoch ohnehin nicht umgehen. Und nur ein rechtzeitig bei der Kasse eingereichter Einkommensteuerbescheid sorgt im Fall längerer Arbeitsunfähigkeit verlässlich für angemessene Krankengeldzahlungen.

Sobald der Krankengeldbescheid vorliegt, ist die Korrektur durch nachgereichte Unterlagen ausgeschlossen. Das ist der Tenor sämtlicher Urteile des Sozialgerichts Frankfurt am Main.

Wichtig: Für Ausfallzeiten vorplanen

Viele Selbstständige gehen davon aus, dass sie ohnehin immer „selbst“ und „ständig“ im Einsatz sein werden. Für mögliche längere Krankheiten oder Rekonvaleszenz-Zeiten planen sie nicht vor. Ein echtes Versäumnis, denn auch Selbstständige können von einem Tag zum anderen für längere Zeit ausfallen. Ohne Absicherung droht dann in vielen Fällen ein finanzielles Loch. Praktische Tipps liefert der Beitrag „Wie Sie als Selbstständiger mit Ausfallzeiten umgehen“.

 

Lektüretipps

Weiterführende Informationen zu Rechts- und Steuerthemen finden Sie im orgaMAX-Blog und im Newsletter-Archiv:

 

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