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Am Arbeitsplatz hat die Meinungsfreiheit ihre Grenzen

13. Sep. 2023
9 MIN

202309_Meinungsfreiheit

Arbeitgeber und Kollegen müssen böse Worte und radikale Parolen nicht unbegrenzt hinnehmen. Die Meinungsfreiheit von Beschäftigten hat Grenzen. Beleidigungen und Diskriminierungen sind am Arbeitsplatz genauso unzulässig wie geschäftsschädigende Äußerungen. Trotzdem ist die arbeitsrechtliche Situation oft kompliziert.

Meinungsfreiheit – oder ein Verstoß gegen Arbeitnehmerpflichten?

Wo liegen die Grenzen der Meinungsfreiheit? Das ist keine abstrakte Frage. Für Arbeitgeber wird sie konkret, wenn Mitarbeiter sich deutlich im Ton vergreifen, extremistisch äußern oder über die eigene Firma herziehen.

  • Einen Maulkorb kann ein Unternehmen seinen Mitarbeitern nicht verordnen. Die Meinungsfreiheit ist ein in der Verfassung garantiertes Grundrecht. Trotzdem hat sie ihre Grenzen, auch im beruflichen Umfeld. Wo diese Grenze genau verläuft, hängt vom Einzelfall ab.
  • Meinungsfreiheit endet in jedem Fall dort, wo aus Äußerungen Straftaten werden – beispielsweise eine Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung, eine Nötigung oder Volksverhetzung. So etwas müssen Arbeitnehmer nicht tolerieren.
  • Arbeitnehmer dürfen Vorgesetzte und Unternehmen kritisieren. Das gilt auch für harte Kritik. Sie darf jedoch nicht zur Schmähkritik werden, bei der es statt um die Sache nur um die Herabwürdigung anderer Personen geht. Beleidigung ist ein Straftatbestand (§ 185 StGB).
  • Außerdem haben Arbeitnehmer eine Loyalitätspflicht gegenüber ihrem Arbeitgeber (§ 241 Abs. 2 BGB). Sie begrenzt das Recht auf öffentliche Kritik am Arbeitgeber. Wer bei Lieferanten die Zahlungsfähigkeit seines Arbeitgebers anzweifelt oder gegenüber Kunden das eigene Produkt schlecht macht, hat die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten.
  • Whistleblower dürfen grundsätzlich Missstände im Unternehmen offenlegen. Allerdings müssen sie diese Aussagen auf Richtigkeit überprüfen und sind gehalten, für ihre Hinweise die bestehenden Meldestellen zu nutzen (§ 7 und 32 HinSchG).
  • Teil der Loyalitätspflicht ist es, den Betriebsfrieden zu wahren. Arbeitnehmer, die gezielt für eskalierende politische Diskussionen unter Kollegen sorgen oder mit extremistischen Positionen provozieren, verstoßen schnell gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten.
  • Ein weiterer Aspekt ist das Recht anderer Mitarbeiter auf eine Arbeitsatmosphäre ohne Mobbing und Diskriminierung. Arbeitgeber werden schadenersatzpflichtig, wenn sie auf entsprechende Grenzüberschreitungen nicht reagieren. Ein Beispiel sind ständige frauen- oder migrantenfeindliche Kommentare.
  • Die möglichen arbeitsrechtlichen Folgen hängen ganz vom Einzelfall ab. Die Skala reicht von der fristlosen, außerordentlichen Kündigung über eine reguläre Kündigung oder eine Abmahnung bis zur Versetzung oder einem Mitarbeitergespräch. Beschäftigte können sich nicht nur „um Kopf und Kragen“, sondern durchaus auch um den Job reden. Die Kündigung ist jedoch längst nicht in jedem Fall gerechtfertigt.

 

Grenze überschritten: Beleidigung oder Bedrohung von Kollegen

Beleidigungen und Bedrohungen sind Straftaten. Wer sich am Arbeitsplatz dazu hinreißen lässt, überschreitet deshalb die Grenze der Meinungsfreiheit. Außerdem verletzt er seine arbeitsvertraglichen Pflichten.

Der Arbeitgeber kann von den Mitarbeitern erwarten, dass sie weder das Strafrecht verletzen noch den Betriebsfrieden stören. Er darf in solchen Fällen nicht nur reagieren, er sollte es tun. Arbeitgeber haben die Aufgabe, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Beleidigungen, Diskriminierungen und verbalen Übergriffen zu schützen. Das ist Teil ihrer Fürsorgepflicht und zudem im Betriebsverfassungsgesetz (§ 75 BetrVG) sowie im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (§ 12 AGG) explizit festgelegt.

 

Rechtsprechungsbeispiel: beleidigende Affenlaute

Ein Betriebsratsmitglied in einem Kölner Logistikunternehmen stieß gegenüber einem dunkelhäutigen Betriebsratskollegen Affenlaute aus. Gegenüber der AGG-Beschwerdestelle gab er an, das habe zur „Auflockerung der Gesprächsatmosphäre“ gedient. Der Arbeitgeber kündigte ihm fristlos – zurecht, wie das Landesarbeitsgericht entschied. Die Kündigung sei aufgrund der Prognose gerechtfertigt, der Mann werde sich „auch in Zukunft weiterhin seinen Kollegen gegenüber beleidigend und insbesondere rassistisch verhalten“ (LAG Köln, 06.06.2019 - 4 Sa 18/19).

Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers bei Beleidigungen oder Mobbing durch Kollegen

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz enthält einen wichtigen Gesichtspunkt: Reagiert der Arbeitgeber nicht auf entsprechende Vorfälle, macht er sich schadenersatzpflichtig (§ 15 AGG).

Eine Mitarbeiterin, die von einem Kollegen regelmäßig rassistisch oder frauenfeindlich beleidigt wird, kann nicht nur den Urheber der Beleidigungen anzeigen. Sie kann vom Unternehmen außerdem Entschädigung fordern, wenn dieses nicht angemessen auf die Vorfälle reagiert und sie schützt.

 

Rechtsprechungsbeispiel: „Ausländer raus“ auf der Toilette

In einem Lagerbetrieb, in dem rund die Hälfte der Belegschaft Migrationshintergrund hatte, hatten Unbekannte Toilettenwände mit kruden fremdenfeindlichen Parolen und Hakenkreuzen beschmiert. Der Niederlassungsleiter soll das den Klägern zufolge mit der Bemerkung „So denken die Leute eben“ abgetan haben, als er von türkischen Arbeitnehmern darauf hingewiesen wurde. Für das Bundesarbeitsgericht hätte ein solches Verhalten, falls nachgewiesen, durchaus ein „feindliches Umfeld“ im Sinne des AGG belegen können. Allerdings scheiterte die Klage und damit der Schadenersatzanspruch daran, dass die Anspruchsfristen abgelaufen waren (BAG, 24.09.2009 - 8 AZR 705/08).

Öffentlich oder privat?

Ein wichtiger Aspekt ist die Frage, ob die betreffenden Äußerungen als Teil eines privaten oder eines öffentlichen Gesprächs gefallen sind. Beleidigungen oder potenziell geschäftsschädigende Äußerungen sind viel eher von der Meinungsfreiheit gedeckt, wenn sie im geschützten Rahmen einer privaten Unterhaltung fallen. Entscheidend ist, ob der Urheber darauf vertrauen konnte, dass das Gesagte nicht öffentlich wird. Diese Voraussetzung gilt längst nicht für jede vermeintlich private Konversation.

 

Rechtsprechungsbeispiel: Chef in WhatsApp-Gruppe beleidigt

Das Bundesarbeitsgericht hat vor kurzem Äußerungen in einer kleinen WhatsApp-Gruppe aus sieben befreundeten Kollegen als Kündigungsgrund akzeptiert. Dort hatte sich einer der Arbeitnehmer „in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise“ über seine Vorgesetzten und andere Kollegen geäußert. Als der Arbeitgeber, eine Fluggesellschaft, davon erfuhr, kündigte sie dem Mann fristlos. Seine Kündigungsschutzklage hatte wenig Erfolg: Die Richter am BAG entschieden, dass er angesichts der Beleidigungen und menschenverachtenden Äußerungen nicht einfach auf die Vertraulichkeit der Chat-Gruppe vertrauen konnte (BAG, 24.08.2023 - 2 AZR 17/23).

Extreme oder konfliktstiftende Positionen

Wenn Arbeitnehmer extreme politische und weltanschauliche Ansichten äußern, die strafrechtlich nicht angreifbar sind, wird die Abwägung schwierig. Zunächst einmal ist das durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Allerdings haben Arbeitgeber genau wie Kollegen einen begründeten Anspruch darauf, dass ein respektvoller und betriebsdienlicher Umgang herrscht. Das Betriebsverfassungsgesetz verlangt den Verzicht auf „Betätigungen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebs beeinträchtigt werden“ sowie auf „jede parteipolitische Betätigung im Betrieb“ (§ 74 Abs. 2 BVerfG). Das lässt sich grundsätzlich auch auf einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übertragen.

Ein entscheidender Punkt ist auch hier, ob entsprechende Äußerungen rein privat erfolgen oder im betrieblichen Umfeld beziehungsweise als Repräsentant des Arbeitgebers. Gegen rein private Äußerungen haben Arbeitgeber kaum eine Handhabe.

Rechtsprechungsbeispiele: Rechtsextreme Mitarbeiter

Das Berliner Ordnungsamt durfte einem Mitarbeiter kündigen, der im Pausenraum deutlich sichtbar „Mein Kampf“ las. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg begründete dies damit, dass er als Repräsentant des Bundeslandes für die demokratische Grundordnung einzutreten habe. Dagegen hatte er bereits deshalb verstoßen, weil er im Betrieb das Cover mit dem Hakenkreuz zeigte (LAG Berlin-Brandenburg, 25.09.2017 - 10 Sa 899/17).
Dagegen erklärte das Landesarbeitsgericht Nürnberg die Kündigung eines Busfahrers der dortigen Verkehrsbetriebe für unwirksam, der mit klar sichtbarem Dienstausweis für die Splitterpartei „Die Rechte“ Reden gehalten hatte. Das sichtbare Zeigen des Ausweises wertete das Gericht zwar als Verstoß gegen die Loyalitätspflichten. Da dies jedoch außerdienstlich geschah, hielt es eine Abmahnung für ausreichend (LAG Nürnberg, 11.08.2017 - 6 Sa 76/17).

Whistleblowing setzt Prüfung auf Richtigkeit voraus

Mitarbeiter sagen, im Unternehmen gehe es drunter und drüber, es gäbe Verstöße gegen den Umweltschutz, die Lebensmittelsicherheit oder andere Gesetze oder es kämen gar Menschen zu Schaden? Das ist zwar geschäftsschädigend, vor allem, wenn sie damit an die Öffentlichkeit gehen. Trotzdem muss eine solche Aussage kein arbeitsrechtlicher Verstoß sein. Es kann sich auch um legales Whistleblowing handeln.

Arbeitnehmer können Hinweise auf Gesetzesverstöße und Ungerechtigkeiten nicht nur an dafür vorgesehene Meldestellen weitergeben. Wenn diese nicht reagieren oder der Fall dringend ist, dürfen sie diese Informationen auch offenlegen, zum Beispiel in den Medien. Das besagt das im Juli 2023 in Kraft getretene Hinweisgeberschutzgesetz. Dazu gehört allerdings auch eine ausdrückliche Einschränkung: „Das Offenlegen unrichtiger Informationen über Verstöße ist verboten“ (§ 32 Abs. 2 HinSchG).

 

Rechtsprechungsbeispiel: Keine Sterbehilfe in Liechtenstein

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass Whistleblower ihre Vorwürfe prüfen müssen, bevor sie diese nach außen tragen. Ein Klinikarzt in Liechtenstein hatte der Staatsanwaltschaft den Verdacht mitgeteilt, der Chefarzt dort leiste aktive Sterbehilfe. Grund seines Verdachts war allein die Tatsache, dass mehrere Patienten vor ihrem Tod Morphium erhalten hatten. Weitere Prüfungen nahm er nicht vor. Die Staatsanwaltschaft fand keine Belege für die Anschuldigungen. Dem Hinweisgeber wurde gekündigt. Dagegen klagte er erfolglos vor dem EGMR. Das Urteil bekräftigte zwar, dass von Whistleblowern offengelegte Informationen auch dann vom Recht auf freie Meinungsäußerung erfasst sein können, wenn sie sich als falsch oder nicht beweisbar herausstellen. Die Kündigung war jedoch rechtmäßig, weil der Arzt nicht geprüft hatte, ob seine Information „zutreffend und seriös“ war (EGMR, 16.02.2021 - 23922/19).

Kündigung, Abmahnung, Mitarbeitergespräch – welche arbeitsrechtliche Reaktion ist angemessen?

Welche Reaktion arbeitsrechtlich angemessen ist, hängt vom Einzelfall ab: von der Schwere des Vorfalls, von möglichem früheren Fehlverhalten, dem Hintergrund der Eskalation und ähnlichem mehr. Grundsätzlich ist nach rassistischen, bedrohenden oder beleidigenden Äußerungen selbst eine außerordentliche Kündigung möglich.

Eine angemessene Reaktion kann je nach den Umständen auch in einer Kündigung mit Kündigungsfrist, einer Abmahnung oder einer Versetzung bestehen. In leichten Fällen genügt möglicherweise eine klare Ansage im Mitarbeitergespräch. Auch diese Reaktion sollte in der Personalakte vermerkt werden.

Bei der Beurteilung kann vieles eine Rolle spielen, so zum Beispiel …

  • die Wiederholungsgefahr: Dafür spielt auch die Reaktion des oder der Betreffenden eine Rolle. Bereuen Sie die Sache wirklich?
  • die Vorgeschichte: Gab es bereits entsprechende Vorfälle, und wurden sie sanktioniert? Wenn das nicht gewirkt hat, besteht Wiederholungsgefahr.
  • der Kontext: Wurde der oder die Betreffende provoziert oder standen sie besonders unter Druck?
  • die Strafbarkeit oder Schwere: Wie massiv war die Beleidigung oder diskriminierende Aussage?
  • die Reichweite: Wer und wie viele Leute haben die Aussage mitbekommen?
  • die Position: Wie hoch in der Hierarchie war der oder die Betreffende angesiedelt, wie groß der Verantwortungsbereich?

Vor der Entscheidung über die Reaktion sollten diese Umstände geklärt sein. Außerdem müssen bei der Aufklärung des Vorfalls die arbeitsrechtlichen Vorgaben beachtet werden. Für Arbeitgeber kann es günstiger sein, Geld in eine Rechtsberatung zu investieren, als später mit einem Kündigungsschutzverfahren oder einer Schadenersatzklage konfrontiert zu sein.

Rechtsprechungsbeispiel: Chef als „Russen-A…“ bezeichnet, Kündigung scheitert

Ein Beschäftigter, der den Geschäftsführer des Betriebs in privaten, aber vom dienstlichen Account verschickten E-Mails als „Russen A.-loch“, „Russen Idiot“ „Russen Ei“ und „Flasche“ bezeichnet hatte, erhielt die außerordentliche Kündigung. Eine der Mails ging an eine bei einem Kunden des Arbeitgebers beschäftigte Bekannte, eine andere an einen Vorgesetzten. Das Landesarbeitsgericht Frankfurt kassierte die Kündigung (Hessisches LAG, 21.09.2018 - 10 Sa 601/18). Für die Richter hätten die Beleidigungen zwar als Kündigungsgrund ausgereicht. Sie durften jedoch nicht als Beweis verwertet werden. Der Arbeitgeber gab an, er habe das E-Mail-Konto kontrolliert, nachdem Kunden ihm von geschäftsschädigenden Aussagen des Mannes berichtet hatten, ohne dies genauer auszuführen. Das war für das LAG angesichts des Eingriffs in die private Kommunikation zu wenig.

 

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