Arbeitgeber und Kollegen müssen böse Worte und radikale Parolen nicht unbegrenzt hinnehmen. Die Meinungsfreiheit von Beschäftigten hat Grenzen. Beleidigungen und Diskriminierungen sind am Arbeitsplatz genauso unzulässig wie geschäftsschädigende Äußerungen. Trotzdem ist die arbeitsrechtliche Situation oft kompliziert.
Wo liegen die Grenzen der Meinungsfreiheit? Das ist keine abstrakte Frage. Für Arbeitgeber wird sie konkret, wenn Mitarbeiter sich deutlich im Ton vergreifen, extremistisch äußern oder über die eigene Firma herziehen.
Beleidigungen und Bedrohungen sind Straftaten. Wer sich am Arbeitsplatz dazu hinreißen lässt, überschreitet deshalb die Grenze der Meinungsfreiheit. Außerdem verletzt er seine arbeitsvertraglichen Pflichten.
Der Arbeitgeber kann von den Mitarbeitern erwarten, dass sie weder das Strafrecht verletzen noch den Betriebsfrieden stören. Er darf in solchen Fällen nicht nur reagieren, er sollte es tun. Arbeitgeber haben die Aufgabe, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Beleidigungen, Diskriminierungen und verbalen Übergriffen zu schützen. Das ist Teil ihrer Fürsorgepflicht und zudem im Betriebsverfassungsgesetz (§ 75 BetrVG) sowie im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (§ 12 AGG) explizit festgelegt.
Ein Betriebsratsmitglied in einem Kölner Logistikunternehmen stieß gegenüber einem dunkelhäutigen Betriebsratskollegen Affenlaute aus. Gegenüber der AGG-Beschwerdestelle gab er an, das habe zur „Auflockerung der Gesprächsatmosphäre“ gedient. Der Arbeitgeber kündigte ihm fristlos – zurecht, wie das Landesarbeitsgericht entschied. Die Kündigung sei aufgrund der Prognose gerechtfertigt, der Mann werde sich „auch in Zukunft weiterhin seinen Kollegen gegenüber beleidigend und insbesondere rassistisch verhalten“ (LAG Köln, 06.06.2019 - 4 Sa 18/19).
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz enthält einen wichtigen Gesichtspunkt: Reagiert der Arbeitgeber nicht auf entsprechende Vorfälle, macht er sich schadenersatzpflichtig (§ 15 AGG).
Eine Mitarbeiterin, die von einem Kollegen regelmäßig rassistisch oder frauenfeindlich beleidigt wird, kann nicht nur den Urheber der Beleidigungen anzeigen. Sie kann vom Unternehmen außerdem Entschädigung fordern, wenn dieses nicht angemessen auf die Vorfälle reagiert und sie schützt.
In einem Lagerbetrieb, in dem rund die Hälfte der Belegschaft Migrationshintergrund hatte, hatten Unbekannte Toilettenwände mit kruden fremdenfeindlichen Parolen und Hakenkreuzen beschmiert. Der Niederlassungsleiter soll das den Klägern zufolge mit der Bemerkung „So denken die Leute eben“ abgetan haben, als er von türkischen Arbeitnehmern darauf hingewiesen wurde. Für das Bundesarbeitsgericht hätte ein solches Verhalten, falls nachgewiesen, durchaus ein „feindliches Umfeld“ im Sinne des AGG belegen können. Allerdings scheiterte die Klage und damit der Schadenersatzanspruch daran, dass die Anspruchsfristen abgelaufen waren (BAG, 24.09.2009 - 8 AZR 705/08).
Ein wichtiger Aspekt ist die Frage, ob die betreffenden Äußerungen als Teil eines privaten oder eines öffentlichen Gesprächs gefallen sind. Beleidigungen oder potenziell geschäftsschädigende Äußerungen sind viel eher von der Meinungsfreiheit gedeckt, wenn sie im geschützten Rahmen einer privaten Unterhaltung fallen. Entscheidend ist, ob der Urheber darauf vertrauen konnte, dass das Gesagte nicht öffentlich wird. Diese Voraussetzung gilt längst nicht für jede vermeintlich private Konversation.
Das Bundesarbeitsgericht hat vor kurzem Äußerungen in einer kleinen WhatsApp-Gruppe aus sieben befreundeten Kollegen als Kündigungsgrund akzeptiert. Dort hatte sich einer der Arbeitnehmer „in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise“ über seine Vorgesetzten und andere Kollegen geäußert. Als der Arbeitgeber, eine Fluggesellschaft, davon erfuhr, kündigte sie dem Mann fristlos. Seine Kündigungsschutzklage hatte wenig Erfolg: Die Richter am BAG entschieden, dass er angesichts der Beleidigungen und menschenverachtenden Äußerungen nicht einfach auf die Vertraulichkeit der Chat-Gruppe vertrauen konnte (BAG, 24.08.2023 - 2 AZR 17/23).
Wenn Arbeitnehmer extreme politische und weltanschauliche Ansichten äußern, die strafrechtlich nicht angreifbar sind, wird die Abwägung schwierig. Zunächst einmal ist das durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Allerdings haben Arbeitgeber genau wie Kollegen einen begründeten Anspruch darauf, dass ein respektvoller und betriebsdienlicher Umgang herrscht. Das Betriebsverfassungsgesetz verlangt den Verzicht auf „Betätigungen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebs beeinträchtigt werden“ sowie auf „jede parteipolitische Betätigung im Betrieb“ (§ 74 Abs. 2 BVerfG). Das lässt sich grundsätzlich auch auf einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übertragen.
Ein entscheidender Punkt ist auch hier, ob entsprechende Äußerungen rein privat erfolgen oder im betrieblichen Umfeld beziehungsweise als Repräsentant des Arbeitgebers. Gegen rein private Äußerungen haben Arbeitgeber kaum eine Handhabe.
Das Berliner Ordnungsamt durfte einem Mitarbeiter kündigen, der im Pausenraum deutlich sichtbar „Mein Kampf“ las. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg begründete dies damit, dass er als Repräsentant des Bundeslandes für die demokratische Grundordnung einzutreten habe. Dagegen hatte er bereits deshalb verstoßen, weil er im Betrieb das Cover mit dem Hakenkreuz zeigte (LAG Berlin-Brandenburg, 25.09.2017 - 10 Sa 899/17).
Dagegen erklärte das Landesarbeitsgericht Nürnberg die Kündigung eines Busfahrers der dortigen Verkehrsbetriebe für unwirksam, der mit klar sichtbarem Dienstausweis für die Splitterpartei „Die Rechte“ Reden gehalten hatte. Das sichtbare Zeigen des Ausweises wertete das Gericht zwar als Verstoß gegen die Loyalitätspflichten. Da dies jedoch außerdienstlich geschah, hielt es eine Abmahnung für ausreichend (LAG Nürnberg, 11.08.2017 - 6 Sa 76/17).
Mitarbeiter sagen, im Unternehmen gehe es drunter und drüber, es gäbe Verstöße gegen den Umweltschutz, die Lebensmittelsicherheit oder andere Gesetze oder es kämen gar Menschen zu Schaden? Das ist zwar geschäftsschädigend, vor allem, wenn sie damit an die Öffentlichkeit gehen. Trotzdem muss eine solche Aussage kein arbeitsrechtlicher Verstoß sein. Es kann sich auch um legales Whistleblowing handeln.
Arbeitnehmer können Hinweise auf Gesetzesverstöße und Ungerechtigkeiten nicht nur an dafür vorgesehene Meldestellen weitergeben. Wenn diese nicht reagieren oder der Fall dringend ist, dürfen sie diese Informationen auch offenlegen, zum Beispiel in den Medien. Das besagt das im Juli 2023 in Kraft getretene Hinweisgeberschutzgesetz. Dazu gehört allerdings auch eine ausdrückliche Einschränkung: „Das Offenlegen unrichtiger Informationen über Verstöße ist verboten“ (§ 32 Abs. 2 HinSchG).
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass Whistleblower ihre Vorwürfe prüfen müssen, bevor sie diese nach außen tragen. Ein Klinikarzt in Liechtenstein hatte der Staatsanwaltschaft den Verdacht mitgeteilt, der Chefarzt dort leiste aktive Sterbehilfe. Grund seines Verdachts war allein die Tatsache, dass mehrere Patienten vor ihrem Tod Morphium erhalten hatten. Weitere Prüfungen nahm er nicht vor. Die Staatsanwaltschaft fand keine Belege für die Anschuldigungen. Dem Hinweisgeber wurde gekündigt. Dagegen klagte er erfolglos vor dem EGMR. Das Urteil bekräftigte zwar, dass von Whistleblowern offengelegte Informationen auch dann vom Recht auf freie Meinungsäußerung erfasst sein können, wenn sie sich als falsch oder nicht beweisbar herausstellen. Die Kündigung war jedoch rechtmäßig, weil der Arzt nicht geprüft hatte, ob seine Information „zutreffend und seriös“ war (EGMR, 16.02.2021 - 23922/19).
Welche Reaktion arbeitsrechtlich angemessen ist, hängt vom Einzelfall ab: von der Schwere des Vorfalls, von möglichem früheren Fehlverhalten, dem Hintergrund der Eskalation und ähnlichem mehr. Grundsätzlich ist nach rassistischen, bedrohenden oder beleidigenden Äußerungen selbst eine außerordentliche Kündigung möglich.
Eine angemessene Reaktion kann je nach den Umständen auch in einer Kündigung mit Kündigungsfrist, einer Abmahnung oder einer Versetzung bestehen. In leichten Fällen genügt möglicherweise eine klare Ansage im Mitarbeitergespräch. Auch diese Reaktion sollte in der Personalakte vermerkt werden.
Bei der Beurteilung kann vieles eine Rolle spielen, so zum Beispiel …
Vor der Entscheidung über die Reaktion sollten diese Umstände geklärt sein. Außerdem müssen bei der Aufklärung des Vorfalls die arbeitsrechtlichen Vorgaben beachtet werden. Für Arbeitgeber kann es günstiger sein, Geld in eine Rechtsberatung zu investieren, als später mit einem Kündigungsschutzverfahren oder einer Schadenersatzklage konfrontiert zu sein.
Ein Beschäftigter, der den Geschäftsführer des Betriebs in privaten, aber vom dienstlichen Account verschickten E-Mails als „Russen A.-loch“, „Russen Idiot“ „Russen Ei“ und „Flasche“ bezeichnet hatte, erhielt die außerordentliche Kündigung. Eine der Mails ging an eine bei einem Kunden des Arbeitgebers beschäftigte Bekannte, eine andere an einen Vorgesetzten. Das Landesarbeitsgericht Frankfurt kassierte die Kündigung (Hessisches LAG, 21.09.2018 - 10 Sa 601/18). Für die Richter hätten die Beleidigungen zwar als Kündigungsgrund ausgereicht. Sie durften jedoch nicht als Beweis verwertet werden. Der Arbeitgeber gab an, er habe das E-Mail-Konto kontrolliert, nachdem Kunden ihm von geschäftsschädigenden Aussagen des Mannes berichtet hatten, ohne dies genauer auszuführen. Das war für das LAG angesichts des Eingriffs in die private Kommunikation zu wenig.
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