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Diskriminierung, sexuelle Belästigung, Mobbing: Schadenersatz vom Arbeitgeber?

Geschrieben von orgaMAX Redaktionsteam | 26.09.24 08:35

Werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Arbeitsplatz diskriminiert, gemobbt oder sexuell belästigt, müssen Arbeitgeber aktiv werden. Das ist nicht nur eine Frage guter Personalführung. Andernfalls droht auch Schadenersatzpflicht. Allerdings darf die Reaktion nicht überzogen oder ungerecht ausfallen. Die richtige Arbeitgeber-Reaktion beim Verdacht auf Diskriminierung, Belästigung und Mobbing kann zur Gratwanderung werden.

 

Übergriffiges oder unfaires Verhalten im Betrieb? Dann ist der Arbeitgeber gefordert

Werden Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter zum Ziel sexueller Übergriffigkeiten, systematischer Beleidigungen, von Ausgrenzung oder gezielter Benachteiligung, hat auch der Arbeitgeber ein Problem. Übergriffe und Herabsetzungen schaden der Betriebsatmosphäre und damit auch der Produktivität. Doch es geht um mehr als Zahlen. Menschenwürdiger Umgang im Unternehmen ist ein zentraler ethischer Grundwert.

Auch arbeitsrechtlich stellen solche Vorfälle Arbeitgeber vor eine Herausforderung. Sie müssen angemessen reagieren. Unternehmen sie zu wenig, drohen Schadenersatzforderungen. Reagieren sie über oder sanktionieren sie den Falschen, wird auch das schnell zum Bumerang. Schon gehört es zur Personalführung, die Rechtslage zumindest in Grundzügen zu kennen.

 

Fürsorgepflicht und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

Das Arbeitsrecht verpflichtet Arbeitgeber, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Angriffen auf ihre Würde und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz zu schützen.

  • Maßgeblich ist erstens die allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Die steht zwar in dieser allgemeinen Form in keinem Gesetz. Sie ist aber seit langem von den Arbeitsgerichten fest etabliert.
    Verschiedene Aspekte der Fürsorgepflicht werden aus unterschiedlichen Gesetzen hergeleitet. Beim Schutz der Gesundheit ist dies 618 BGB, in Bezug auf den Schutz der Menschenwürde Art. 2 Abs. 1 GG.

  • Zweitens ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) einschlägig. Es verbietet die Benachteiligung „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“.
    Das AGG nimmt die Arbeitgeber in die Pflicht: Sie müssen gegen die Benachteiligung von Beschäftigten vorgehen.

Anders als etwa Kündigungsschutzrechte, die erst ab einer bestimmte Betriebsgröße gelten, greifen Fürsorgepflicht, Persönlichkeitsrechte und das AGG auch in kleinen Betrieben und ab dem ersten Arbeitnehmer.

 

Die konkreten Arbeitgeberpflichten laut AGG

Das Gesetz verpflichtet den Arbeitgeber konkret zu folgenden Maßnahmen (§ 12 AGG):

  • Er muss für Prävention sorgen, um Benachteiligungen vorzubeugen, und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das Thema und ihre Rechte sensibilisieren.
    Bei Vorwürfen wegen angeblicher Diskriminierung punkten Unternehmen, wenn sie auf eindeutige Regeln in der Betriebsordnung, klare Stellungnahmen der Geschäftsführung und regelmäßige interne Schulungen verweisen können.

  • Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen die Möglichkeit haben, sich wegen Diskriminierung oder Belästigungen zu beschweren. Der Arbeitgeber sollte solche Beschwerden ernstnehmen, korrekt prüfen und dem oder der Beschäftigten das Ergebnis mitteilen.

  • Vor allem müssen Arbeitgeber disziplinarisch eingreifen, sobald ein Beschäftigter negativ auffällt, zum Beispiel durch diskriminierende Sprache oder übergriffiges Verhalten. Es gibt keine vorgeschriebene Reaktion. Sie muss zum konkreten Fall und dem Umständen passen. Das AGG nennt als Möglichkeiten Abmahnungen, Umsetzung innerhalb des Standorts, Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz sowie Kündigungen. In leichten Fällen kann ein Personalgespräch ausreichen.

  • Auf der andren Seite hat der Arbeitgeber die Aufgabe, Opfer von Benachteiligungen, Mobbing oder sexueller Belästigung durch gezielte Maßnahmen zu schützen.
    Ein Mitarbeiter, der wiederholt rassistisch oder wegen seiner Homosexualität beleidigt wurde, sollte den Tätern nicht laufend weiter begegnen müssen, es sei denn, die Sache wurde eindeutig ausgeräumt. Gleichzeitig darf die Schutzmaßnahme nicht zu Lasten des Opfers gehen, etwa durch seine Versetzung an einen ungünstigeren Arbeitsplatz, während die Täter ihre Aufgabenbereiche behalten.

 

Angemessene Reaktion oder Prävention fehlt? Dann ist der Arbeitgeber schadenersatzpflichtig

Die Schutzvorschriften, die den Arbeitgeber zu aktivem Verhalten gegen Mobbing, Diskriminierung und sexueller Belästigung verpflichten, haben durchaus Zähne. Bei Verstößen droht teures Ungemach:

  • Bei Versäumnissen muss der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer seine materiellen Schäden ersetzen. Das betrifft beispielsweise Fälle von Entgelt-Diskriminierung. Außerdem kann ein Schmerzensgeld verhängt werden für Schäden, die sich nicht als finanzielle Einbuße beziffern lassen (§ 15 AGG). Dazu gehören die Verletzung des Persönlichkeitsrechts sowie Einbußen der Lebensqualität durch Ärger und Stress.

  • Das gilt wohlgemerkt nicht nur bei Fehlverhalten durch Vorgesetzte oder den Arbeitgeber selbst. Der Arbeitgeber wird auch schadenersatzpflichtig, wenn er den Kollegen, Kunden oder anderen Dritten nicht ausreichend entgegentritt oder nicht genug zur Entschärfung der Situation tut.

  • Dabei kommt es leicht zur Umkehrung der Beweispflicht: Wenn der oder die Beschäftigte den Verdacht auf eine Diskriminierung belegen kann, ist es Sache des Arbeitgebers, die Erfüllung seine Pflichten nachzuweisen.

  • Betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können darüber hinaus der Arbeit fernzubleiben, und zwar bei vollem Lohnanspruch, wenn der Arbeitgeber sie nicht ausreichend vor drohenden Übergriffen oder Angriffen schützt (§ 14 AGG).

 

Überzogene Reaktion? Auch dann macht sich der Arbeitgeber angreifbar

Nicht weniger schädlich als Nichtstun ist übertriebener Aktivismus. Wenn Arbeitgeber beim Verdachts auf sexuelle Übergriffe oder Mobbing überreagieren, führt auch das in die Sackgasse. Kündigungen und Abmahnungen, die sich im Nachhinein als überzogen oder ungerechtfertigt erweisen, müssen zurückgenommen werden. Im Fall eines verlorenen Kündigungsschutzprozesses müssen Lohn oder Gehalt nachgezahlt werden, und der Betroffene ist weiterhin Arbeitnehmer. Dazu kommen die fatalen Folgen für das Betriebsklima.

 

Zwei Monate Frist für Entschädigungsansprüche

Das AGG setzt Ansprüchen auf Entschädigung durch den Arbeitgeber eine zeitliche Frist: Sie müssen innerhalb von zwei Monaten nach dem Vorfall oder seinem Bekanntwerden geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 4 AGG).

Allerdings gilt für Schadenersatzforderungen generell eine Verjährungsfrist von drei Jahren. Deshalb hat das Bundesarbeitsgericht Schadenersatzklagen wegen allgemeinem Mobbing, die innerhalb dieser Frist erhoben wurden, für zulässig erklärt (11.12.2014 - 8 AZR 838/13).

 

Maßregelung verboten: AGG-Beschwerden dürfen nicht bestraft werden

Das AGG enthält ein ausdrückliches Maßregelungsverbot: Beschäftigte, die Beschwerden wegen einer Diskriminierung einlegen, dürfen dafür keine Benachteiligung erfahren. Dies gilt auch für Zeugen und Zeuginnen oder andere Unterstützer sowie für den Fall, dass Beschäftigte eine diskriminierende Anweisung von Vorgesetzten verweigern.

Genauso wenig darf die Reaktion von Betroffenen auf eine Diskriminierung oder übergriffiges Verhalten als Begründung für eine Versetzung, Nicht-Beförderung oder eine ähnliche Entscheidung dienen. Eine verweigerte Lohnerhöhung, weil eine Mitarbeiterin sich laut gegen sexistische Witze gewehrt hat, wäre unzulässig.

Auch in solchen Fällen ist der Arbeitgeber in der Beweispflicht, korrekt gehandelt zu haben, sobald Beschäftigte den Verdacht einer Benachteiligung glaubhaft machen.

 

Wann liegt sexuelle Belästigung vor?

Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz definiert sexuelle Belästigung als „unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten“ (§ 3 Abs. 4 AGG). Ausdrücklich genannt werden unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie das Zeigen und sichtbare Anbringen von pornographischen Bildern.

Außerdem erwähnt die gesetzliche Definition zwei weitere Aspekte:

  • Das Verhalten verletzt „die Würde der betreffenden Person“ oder bezweckt das zumindest.
  • Das Verhalten schafft ein negatives, „von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen“ gekennzeichnetes Umfeld.

Sexuelle Belästigung im Sinne des AGG liegt damit nicht nur bei direkten Berührungen im Intimbereich vor. Das ist ein wichtiger Unterschied zum Straftatbestand „Sexuelle Belästigung“ (§ 184i StGB). Der Täter muss auch nicht direkt zu sexuellen Handlungen auffordern. Es genügen unerwünschte Anzüglichkeiten, die als sexuell konnotiert verstanden werden, die persönliche Würde angreifen und tendenziell für eine unangenehme Atmosphäre sorgen.

Entscheidend ist, wie das Verhalten ankommt, nicht wie der Urheber es versteht oder verstehen will. Einwände wie „das war doch nur Spaß“ oder „wir haben doch geflirtet“ funktionieren nicht.

 

Was ist Diskriminierung gemäß AGG?

Das AGG verbietet Ungleichbehandlung „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“. Wenn Beschäftigten aus solchen Motiven heraus weniger Entgelt bekommen, nicht aufsteigen können, Beleidigungen oder unsachliche Bemerkungen hören oder auf andere Art gemobbt werden, liegt eine Benachteiligung vor.

In bestimmten Fällen kann die Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein (§ 20 AGG). Keine Diskriminierung ist es, wenn ein Arbeitgeber gezielt Frauen befördert, um etwas gegen den geringen Frauenanteil unter den Führungskräften zu tun. Zulässig ist die Ungleichbehandlung auch dann, wenn sie „der Vermeidung von Gefahren“ und ähnlichen Zwecken dient. Das kann beispielsweise eine Altersgrenze für bestimmte Berufe wie bei Piloten rechtfertigen. Religionsgemeinschaften dürfen zumindest für Berufe mit „Verkündungsauftrag“ Nicht-Angehörige aus religiösen Gründen ausschließen.

 

Mobbing: die Ursachen entscheiden

„Mobbing“ taucht als Begriff nicht im Gesetz auf. Das AGG spricht stattdessen von „Belästigung“, die „die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld“ schafft (§ 3 Abs. 3 AGG).

In Fällen von Mobbing entscheiden die Umstände, ob das AGG einschlägig ist. Wenn es zu frauenfeindlichen Sprüche, rassistischen Beleidigungen, Witzen über das Alter oder eine Behinderung kommt, liegt grundsätzlich eine Benachteiligung im Sinne des AGG vor.

Aber auch wenn das Mobbing nicht auf solche Vorurteile abzielt, ist der Arbeitgeber in der Pflicht. Das folgt aus seiner oben beschriebenen allgemeinen Fürsorgepflicht und dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Auch in solchen Fällen hat das Bundesarbeitsgericht eine Schadenersatzpflicht anerkannt (z. B. BAG 16.05 2007 – 8 AZR 709/06).

 

Für das AGG gilt Aushangpflicht

Das AGG gehört zu den Gesetzen, die der Arbeitgeber im Unternehmen auszuhängen oder elektronisch bereitzustellen hat. Das gilt zudem für § 61 Arbeitsgerichtsgesetz zur Klage wegen Benachteiligung. Außerdem müssen Informationen dazu, wie oder wo Beschwerden eingereicht werden können, durch Aushang, Auslegen oder mittels der im Betrieb „üblichen Informations- und Kommunikationstechnik“ bekanntgegeben werden.

Weitere Informationen lesen Sie im Beitrag „Aushangpflichtige Gesetze: Bestimmte Gesetze müssen Arbeitgeber im Betrieb aushängen“.

 

Beispiele: Arbeitgeber-Fehler rund um Diskriminierung, sexuelle Belästigung und Mobbing

Die folgenden fiktiven Beispielen skizzieren typische Fälle, in denen Arbeitgeber über den Umgang mit übergriffigem oder benachteiligendem Verhalten stolpern:

  • Der Arbeitgeber formuliert eine Stellenanzeigen so, dass sie Frauen, diverse Menschen oder Ältere auszuschließen scheint.
  • Die Unternehmensleitung versetzt eine Mitarbeiterin, die sich über die Anzüglichkeiten männlicher Kollegen beschwert, gegen ihren Willen in eine Abteilung, in der nur Frauen arbeiten.
  • Eine Angestellte wird trotz gleicher formeller Qualifikation und Betriebszugehörigkeit schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen mit gleichem Aufgabenbereich, weil diese „besser verhandelt“ haben.
  • Ein neuer Arbeitnehmer wird von den Kollegen als „homosexuell“ bezeichnet, es kommt zu handgreiflichen „Scherzen“. Der Vorgesetzte erklärt, das sei nicht böse gemeint und gehe ihn nichts an.
  • Eine Mitarbeiterin mit Kopftuch wird von einer Kundin verbal angegangen und mit Terrorismus in Verbindung gebracht. Der Chef sagt ihr, sie solle in Zukunft einfach die Ladenräume verlassen, wenn diese Kundin sie betritt.

In all diesen Fällen hätten die betroffenen Beschäftigten sehr gute Aussichten auf Schadenersatz vom Arbeitgeber.

 

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