Werden Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter zum Ziel sexueller Übergriffigkeiten, systematischer Beleidigungen, von Ausgrenzung oder gezielter Benachteiligung, hat auch der Arbeitgeber ein Problem. Übergriffe und Herabsetzungen schaden der Betriebsatmosphäre und damit auch der Produktivität. Doch es geht um mehr als Zahlen. Menschenwürdiger Umgang im Unternehmen ist ein zentraler ethischer Grundwert.
Auch arbeitsrechtlich stellen solche Vorfälle Arbeitgeber vor eine Herausforderung. Sie müssen angemessen reagieren. Unternehmen sie zu wenig, drohen Schadenersatzforderungen. Reagieren sie über oder sanktionieren sie den Falschen, wird auch das schnell zum Bumerang. Schon gehört es zur Personalführung, die Rechtslage zumindest in Grundzügen zu kennen.
Das Arbeitsrecht verpflichtet Arbeitgeber, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Angriffen auf ihre Würde und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz zu schützen.
Anders als etwa Kündigungsschutzrechte, die erst ab einer bestimmte Betriebsgröße gelten, greifen Fürsorgepflicht, Persönlichkeitsrechte und das AGG auch in kleinen Betrieben und ab dem ersten Arbeitnehmer.
Das Gesetz verpflichtet den Arbeitgeber konkret zu folgenden Maßnahmen (§ 12 AGG):
Die Schutzvorschriften, die den Arbeitgeber zu aktivem Verhalten gegen Mobbing, Diskriminierung und sexueller Belästigung verpflichten, haben durchaus Zähne. Bei Verstößen droht teures Ungemach:
Nicht weniger schädlich als Nichtstun ist übertriebener Aktivismus. Wenn Arbeitgeber beim Verdachts auf sexuelle Übergriffe oder Mobbing überreagieren, führt auch das in die Sackgasse. Kündigungen und Abmahnungen, die sich im Nachhinein als überzogen oder ungerechtfertigt erweisen, müssen zurückgenommen werden. Im Fall eines verlorenen Kündigungsschutzprozesses müssen Lohn oder Gehalt nachgezahlt werden, und der Betroffene ist weiterhin Arbeitnehmer. Dazu kommen die fatalen Folgen für das Betriebsklima.
Das AGG setzt Ansprüchen auf Entschädigung durch den Arbeitgeber eine zeitliche Frist: Sie müssen innerhalb von zwei Monaten nach dem Vorfall oder seinem Bekanntwerden geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 4 AGG).
Allerdings gilt für Schadenersatzforderungen generell eine Verjährungsfrist von drei Jahren. Deshalb hat das Bundesarbeitsgericht Schadenersatzklagen wegen allgemeinem Mobbing, die innerhalb dieser Frist erhoben wurden, für zulässig erklärt (11.12.2014 - 8 AZR 838/13).
Das AGG enthält ein ausdrückliches Maßregelungsverbot: Beschäftigte, die Beschwerden wegen einer Diskriminierung einlegen, dürfen dafür keine Benachteiligung erfahren. Dies gilt auch für Zeugen und Zeuginnen oder andere Unterstützer sowie für den Fall, dass Beschäftigte eine diskriminierende Anweisung von Vorgesetzten verweigern.
Genauso wenig darf die Reaktion von Betroffenen auf eine Diskriminierung oder übergriffiges Verhalten als Begründung für eine Versetzung, Nicht-Beförderung oder eine ähnliche Entscheidung dienen. Eine verweigerte Lohnerhöhung, weil eine Mitarbeiterin sich laut gegen sexistische Witze gewehrt hat, wäre unzulässig.
Auch in solchen Fällen ist der Arbeitgeber in der Beweispflicht, korrekt gehandelt zu haben, sobald Beschäftigte den Verdacht einer Benachteiligung glaubhaft machen.
Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz definiert sexuelle Belästigung als „unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten“ (§ 3 Abs. 4 AGG). Ausdrücklich genannt werden unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie das Zeigen und sichtbare Anbringen von pornographischen Bildern.
Außerdem erwähnt die gesetzliche Definition zwei weitere Aspekte:
Sexuelle Belästigung im Sinne des AGG liegt damit nicht nur bei direkten Berührungen im Intimbereich vor. Das ist ein wichtiger Unterschied zum Straftatbestand „Sexuelle Belästigung“ (§ 184i StGB). Der Täter muss auch nicht direkt zu sexuellen Handlungen auffordern. Es genügen unerwünschte Anzüglichkeiten, die als sexuell konnotiert verstanden werden, die persönliche Würde angreifen und tendenziell für eine unangenehme Atmosphäre sorgen.
Entscheidend ist, wie das Verhalten ankommt, nicht wie der Urheber es versteht oder verstehen will. Einwände wie „das war doch nur Spaß“ oder „wir haben doch geflirtet“ funktionieren nicht.
Das AGG verbietet Ungleichbehandlung „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“. Wenn Beschäftigten aus solchen Motiven heraus weniger Entgelt bekommen, nicht aufsteigen können, Beleidigungen oder unsachliche Bemerkungen hören oder auf andere Art gemobbt werden, liegt eine Benachteiligung vor.
In bestimmten Fällen kann die Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein (§ 20 AGG). Keine Diskriminierung ist es, wenn ein Arbeitgeber gezielt Frauen befördert, um etwas gegen den geringen Frauenanteil unter den Führungskräften zu tun. Zulässig ist die Ungleichbehandlung auch dann, wenn sie „der Vermeidung von Gefahren“ und ähnlichen Zwecken dient. Das kann beispielsweise eine Altersgrenze für bestimmte Berufe wie bei Piloten rechtfertigen. Religionsgemeinschaften dürfen zumindest für Berufe mit „Verkündungsauftrag“ Nicht-Angehörige aus religiösen Gründen ausschließen.
„Mobbing“ taucht als Begriff nicht im Gesetz auf. Das AGG spricht stattdessen von „Belästigung“, die „die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld“ schafft (§ 3 Abs. 3 AGG).
In Fällen von Mobbing entscheiden die Umstände, ob das AGG einschlägig ist. Wenn es zu frauenfeindlichen Sprüche, rassistischen Beleidigungen, Witzen über das Alter oder eine Behinderung kommt, liegt grundsätzlich eine Benachteiligung im Sinne des AGG vor.
Aber auch wenn das Mobbing nicht auf solche Vorurteile abzielt, ist der Arbeitgeber in der Pflicht. Das folgt aus seiner oben beschriebenen allgemeinen Fürsorgepflicht und dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Auch in solchen Fällen hat das Bundesarbeitsgericht eine Schadenersatzpflicht anerkannt (z. B. BAG 16.05 2007 – 8 AZR 709/06).
Das AGG gehört zu den Gesetzen, die der Arbeitgeber im Unternehmen auszuhängen oder elektronisch bereitzustellen hat. Das gilt zudem für § 61 Arbeitsgerichtsgesetz zur Klage wegen Benachteiligung. Außerdem müssen Informationen dazu, wie oder wo Beschwerden eingereicht werden können, durch Aushang, Auslegen oder mittels der im Betrieb „üblichen Informations- und Kommunikationstechnik“ bekanntgegeben werden.
Weitere Informationen lesen Sie im Beitrag „Aushangpflichtige Gesetze: Bestimmte Gesetze müssen Arbeitgeber im Betrieb aushängen“.
Die folgenden fiktiven Beispielen skizzieren typische Fälle, in denen Arbeitgeber über den Umgang mit übergriffigem oder benachteiligendem Verhalten stolpern:
In all diesen Fällen hätten die betroffenen Beschäftigten sehr gute Aussichten auf Schadenersatz vom Arbeitgeber.
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