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Hinweisgeberschutzgesetz: Die Whistleblowing-Vorschrift beeinflusst auch Selbstständige und kleinere Unternehmen

5. Okt. 2023
7 MIN

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Whistleblower sind seit kurzem durch ein Gesetz geschützt. Zwar müssen Unternehmen erst ab 50 Beschäftigten Anlaufstellen für ihre Hinweise einrichten. Aber es gibt auch staatliche Meldestellen. Dort können Beschäftigte oder selbstständige Auftragnehmer auf mutmaßliche Pflichtverletzungen in einem Unternehmen hinweisen. Das geht auch anonym. Selbstständige und Unternehmen sollten die neue Rechtslage kennen.

Hinweisgeberschutzgesetz: gesetzlicher Schutz für „hinweisgebende Personen“

  • Im Juli 2023 trat ein Gesetz in Kraft, das Whistleblowern Schutz bieten soll. Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) setzt eine EU-Richtlinie in deutsches Recht um. Wer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit von bestimmten Straftaten, Ordnungswidrigkeiten und Rechtsverstößen erfährt, kann dies über neue Kanäle zur Meldung bringen.
  • Bisher blieb nur die Möglichkeit, solche Missstände in die Öffentlichkeit zu tragen oder bei den Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen. Nun entsteht eine neue Infrastruktur an Meldestellen für Hinweisgeber.
  • Zum einen wird eine zentrale staatliche Hinweisstelle beim Bund eingerichtet. Weitere sogenannte „externe Meldestellen“ gibt es beim Bundeskartellamt und der für die Finanzaufsicht zuständige BaFin. Die Bundesländer können für eigene externe Meldestellen sorgen.
  • Außerdem müssen die Betriebe selbst vertrauliche Meldemöglichkeiten bereitstellen. Das gilt allerdings nur, wenn sie mehr als 50 Beschäftigte haben. Dann muss es ab dem 17. Dezember 2023 eine sogenannte interne Meldestelle geben. Sie kann grundsätzlich aus einem Kontaktformular bestehen oder aus einem Ansprechpartner, entweder im Betrieb oder außerhalb davon.
  • Die Meldestellen sind verpflichtet, die Identität der Hinweisgebenden vertraulich zu behandeln. Bei den externen Meldestellen sind zudem anonyme Meldungen möglich. Ob interne Meldestellen auch anonyme Hinweise entgegennehmen, bleibt dem Unternehmen überlassen.
  • Das Gesetz verbietet Repressalien und Rachemaßnahmen gegen Whistleblower ausdrücklich. Dafür werden Bußgelder angedroht, außerdem besteht ein Schadenersatzanspruch, zudem gilt eine Beweislastumkehr.

Die Hinweisstellen sind nur für bestimmte Hinweise gedacht

Das Whistleblower-Gesetz gilt nicht für jede Art von Pflichtverletzung oder unethischem Verhalten. Es bezieht sich vielmehr auf bestimmte Verstöße (§ 2 HinSchG):

  • Tatbestände, für die das Gesetz eine (Geld- oder Freiheits-) Strafe vorsieht: Hinweisgeber können beispielsweise Betrugsversuche, das Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen, Falschaussagen, das Abfangen von Daten, Bestechung im Geschäftsverkehr, Baugefährdung oder Gewässerverunreinigungen melden, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. All das sind Straftatbestände.
  • Ordnungswidrigkeiten, auf die ein Bußgeld steht, falls die entsprechende Vorschrift „dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit“ dient oder die Rechte von Beschäftigten schützt. Gemeldet werden können damit beispielsweise fehlende Arbeitsschutzbelehrungen, das Umgehen eines Beschäftigungsverbots in der Schwangerschaft oder Verstöße gegen das Mindestlohngesetz. Dies sind nur drei Beispiele aus einem sehr breiten Spektrum, die Vorgabe ist der Gesetzesbegründung zufolge „weit zu verstehen“.
  • Das Gesetz nennt explizit weitere Regelungszwecke, bei denen Verstöße gemeldet werden können. Dazu gehören Bestimmungen zur Geldwäsche, zur Produktsicherheit, zur Luft-, Bahn- und Straßenverkehrssicherheit, zum Strahlen- und Umweltschutz, zur Lebensmittelsicherheit, zur Förderung neuer Energien, zur Arzneimittelsicherheit, zum Verbraucherschutz, zu Datenschutz und Computersicherheit, zum Aktionärsschutz sowie Wirtschaftsprüfungsvorschriften und Vergabebestimmungen, um nur die wichtigsten zu erwähnen. Auch Meldungen zu Steuerdelikten und Wettbewerbsverstößen sind ausdrücklich erfasst.

Die Schutzvorschriften

  • Whistleblower können nicht für „die Beschaffung von oder den Zugriff auf“ die gemeldeten Informationen belangt werden (§ 35 Abs. 1). Schadenersatzansprüche sind damit ebenso ausgeschlossen wie etwa die Kündigung eines Arbeitsvertrags oder eine „Strafversetzung“. Ausnahme: die Beschaffung oder der Zugriff war eine Straftat. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn die Information durch Hacking oder Erpressung beschafft wurde.
  • War eine Information für die Meldung erforderlich, können Whistleblower nicht für die Verletzung von Geheimhaltungsvereinbarungen oder von Geschäftsgeheimnissen zur Verantwortung gezogen werden (§ 35 Abs. 2 HinSchG).
  • Repressalien gegen Whistleblower sind verboten. Setzt sich ein Whistleblower gegen Maßnahmen zur Wehr, die er als Repressalien einordnet, muss die Gegenseite beweisen, dass dies nicht der Fall ist (§ 36 HinSchG). Das bedeutet: Kündigt der Kunde den Liefervertrag, nachdem der Lieferant Meldung über einen Umweltverstoß erstattet hat, muss der Kunde beweisen, dass kein Zusammenhang zwischen beidem besteht.
  • Repressalien berechtigen zu Schadenersatz (§ 37 KSchG). Der Lieferant in unserem Beispiel kann nicht verlangen, dass der Liefervertrag fortgeführt wird. Die entgangenen Einnahmen muss der bisherige Kunde ihm jedoch ersetzen.
  • Außerdem können Repressalien mit einem Bußgeld belegt werden. Bis zu 50.000 Euro sind möglich.

Die Schutzvorschriften gelten auch für Unterstützer, Informanten oder Personen, die mit dem Hinweisgeber in Verbindung stehen.

Whistleblower haben Anspruch auf Schutz – aber nicht in jedem Fall

  • Grundsätzlich besteht der gesetzliche Schutz für Hinweisgeber nur, wenn sie ihre Meldung über die externen und oder internen Meldestellen abgegeben haben.
  • Gehen sie an die Öffentlichkeit, können sie nur in ganz bestimmten Fällen Schutz beanspruchen, etwa wenn die Meldestellen untätig bleiben, bei drohender Vernichtung von Beweisen oder bei sonstiger Gefahr in Verzug.
  • Mit unrichtigen Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen, ist generell verboten (§ 32 HinSchG).
  • Außerdem ist der Schutz auf Informationen beschränkt, die Whistleblower „im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit“ bekommen haben. Bei einem Freelancer gilt das also beispielsweise für Einblicke, die er während seines Auftrags oder bei Verhandlungen bekommen hat, nicht jedoch für Dinge, die er von Freunden hört oder in Internet-Foren liest.
  • Vor allem gelten die Schutzbestimmungen nur, wenn der Hinweisgeber bei Abgabe der Meldung „hinreichenden Grund zu der Annahme hatte“, dass seine Information der Wahrheit entsprach und inhaltlich in den Anwendungsbereich des Whistleblower-Gesetzes fiel.
  • Wer vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Informationen meldet, macht sich schadenersatzpflichtig (§ 38 HinSchG).

Die neue Realität: mit Whistleblowing ist zu rechnen

Medienberichten zufolge gingen von Anfang Juli bis Mitte September 113 Meldungen bei der Meldestelle des Bundes ein. Die Zahl mag gering erscheinen. Sie könnte jedoch den Beginn eines Trends anzeigen.

Bis vor kurzem gab es für Whistleblower nur zwei Möglichkeiten, auf Missstände und Mauscheleien aufmerksam zu machen: Sie konnten an die Öffentlichkeit gehen, etwa über die sozialen Medien. Das hatte in der Regel berufliche Konsequenzen – ganz besonders für selbstständige Freelancer, die keine Arbeitnehmer-Rechte in Anspruch nehmen können. Auch mit juristischen Gegenmaßnahmen wie Schadenersatzklagen war zu rechnen. Die andere Möglichkeit war eine Anzeige. Dann war man jedoch als Zeuge involviert, dessen Namen der Gegenseite aus den Schriftsätzen bekannt wurde.

Die neu entstehende Infrastruktur macht es für Whistleblower einfacher. Das betroffene Unternehmen erfährt nicht, von wem der Hinweis stammt, ihm bleiben nur Mutmaßungen. Repressalien werden mit Bußgeldern geahndet und berechtigen zu Schadenersatz.

Das senkt die Schwelle für Hinweisgeber – unabhängig davon, ob es ihnen um ihr Gewissen geht oder um eine Retourkutsche. Dieser Aspekt sollte nicht beschönigt werden. Schon bisher erhielten die Bußgeld- und Strafsachenstellen der Finanzämter viele Tipps zu Steuerhinterziehung von Ex-Ehefrauen, Ex-Angestellten oder Ex-Geschäftspartnern. Bei den externen Meldestellen könnte es ähnlich laufen.

  • Für die Auftraggeber wird es noch wichtiger, die internen Abläufe zu kontrollieren. Pflichtverletzungen werden noch riskanter. Außerdem kann es sinnvoll sein, Interna vor fremden Augen zu schützen, um falschen Verdächtigungen erst gar keinen Raum zu geben.
  • Freelancer und Auftragnehmer müssen möglicherweise mit neuem Misstrauen rechnen. Dafür haben sie eine Möglichkeit, auf echte Missstände bei einem Kunden wie Schwarzarbeit oder schwere Umweltverstöße angemessen zu reagieren. Das schützt sie unter Umständen davor, später in Vorwürfe oder Ermittlungen verwickelt zu werden.
  • Allerdings hat etwa die Wirecard-Affäre gezeigt, dass Behörden selbst bei eindeutigen Hinweisen oft nicht angemessen reagieren, so wie in diesem Fall die BaFin. Abgesehen davon können Whistleblower sich nicht in jedem Fall auf ihre Anonymität verlassen. Führt ihre Meldung zu einem Strafverfahren, können sie durchaus als Zeuge herangezogen werden.

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