Die Künstlersozialkasse sorgt bei Selbstständigen in publizistischen und künstlerischen Kreativberufen für die Sozialversicherung. Die Bedingungen sind sehr vorteilhaft. Allerdings müssen Selbstständige mit bestimmten Tätigkeiten um die Aufnahme kämpfen. Eine Tätowiererin und eine Flamenco-Lehrerin waren mit ihren Klagen erfolgreich. Einer freien Hochzeitsrednerin dagegen verwehrte das Bundessozialgericht die Aufnahme. Welche Faktoren sind entscheidend?
KSK: Sozialversicherung für kreative Selbstständige, aber fast wie bei Angestellten
Die Künstlersozialkasse, kurz KSK, ist für Einzelselbstständige mit künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit da. Sie organisiert für diese Freiberuflerinnen und Freiberufler die Sozialversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Rentenversicherung. Die Bedingungen sind sehr vorteilhaft: Wie Beschäftigte müssen KSK-Versicherte nur die Hälfte ihrer Beiträge selbst aufbringen. Die andere Hälfte wird aus Steuermitteln sowie aus der von Auftraggebern abzuführenden Künstlersozialabgabe finanziert. Dies alles regelt das Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).
Die Künstlersozialversicherung ist eine Pflichtversicherung. Wer eine „künstlerische oder publizistische Tätigkeit“ selbstständig und erwerbsmäßig ausübt, muss in die KSK eintreten (§ 1 KSVG). In der Praxis drehen Streitigkeiten sich meist eher darum, dass Selbstständige in die Künstlersozialkasse wollen, von ihr jedoch nicht akzeptiert werden.
Grundlegende Infos zu KSK und Künstlersozialabgabe im orgaMAX-Blog:
Künstlersozialkasse: Nicht alle, die wollen, dürfen rein
Die KSK liefert auf ihrer Website umfangreiche Erklärungen dazu, wen sie in die Versicherung aufnimmt. Dazu gehört auch eine Berufsliste mit fast 150 Tätigkeiten. Sie umfasst klassische freie Berufe im künstlerischen und publizistischen Bereich, wie Journalismus, PR-Beratung, Grafik-Design und Werbefotografie. Daneben gibt es Nischen-Tätigkeiten wie „Quizmaster“, „Dompteur“ oder „Librettist“. In die KSK aufgenommen werden auch Selbstständige, die solche Fähigkeiten lehren, etwa als selbstständige Klavierlehrerin oder als freier Schauspieldozent.
All das ändert nichts daran, dass es regelmäßig Streit um die Aufnahme bestimmter Selbstständiger in die KSK gibt. Wer abgelehnt wird, kann gegen diese Entscheidung zunächst Widerspruch einlegen. Bleibt die KSK bei ihrer ablehnenden Haltung, besteht die Möglichkeit, vor dem Sozialgericht zu klagen. Immer wieder einmal muss die Künstlersozialkasse nachgeben, nachdem sie den Selbstständigen zunächst die Aufnahme verwehrt hat. In anderen Fällen gaben die Gerichte der Künstlersozialkasse recht. Und auch die Rechtsprechung ändert sich – schon deshalb, weil sich die Gerichte dabei auf die „allgemeine Verkehrsauffassung“ zu bestimmten Tätigkeiten berufen. Diese ändert sich mit der Zeit.
Dreimal Streit um die KSK-Aufnahme: Tätowiererin, Flamenco-Lehrerin und Hochzeitsrednerin
Gleich mit drei solchen Streitfällen befasste sich das Bundessozialgericht im Juni 2024. Eine Tätowiererin, eine Flamencotanz-Lehrerin und eine Hochzeitsrednerin hatten gegen die Künstlersozialversicherung geklagt, da diese sie nicht aufnehmen wollte. Die Entscheidungen fielen unterschiedlich aus:
- Flamenco
Die Flamenco-Tänzerin wollte als Betreiberin einer Schule für diesen traditionellen spanischen Tanz in die Künstlersozialkasse. Die KSK lehnte ab, da ihr Tanzunterricht nicht darauf ausgerichtet sei, dass die Schülerinnen und Schüler später selbst auf der Bühne auftreten sollten. Der Schwerpunkt liege im Sportbereich. Dies sah das Bundessozialgericht anders: Flamenco-Tanz sei Kunst. Ob die Frau als „erfahrene Bühnentänzerin“ angehende Berufstänzerinnen oder aber Laien zu Freizeitzwecken unterrichte, sei für die Künstlersozialversicherung unerheblich (BSG, 27.06.2024 - B 3 KS 1/22 R).
Die Entscheidung dürfte Tanzstudio-Inhaberinnen und -Inhabern den Weg in die KSK weiter erleichtern. Gleichzeitig bleibt das BSG dabei, dass dafür künstlerischer Tanz von Sport abgegrenzt werden muss. 2006 hatte das Bundessozialgericht die Aufnahme einer Tango-Lehrerin in die KSK abgelehnt, weil deren Unterricht „nicht als Grundlage einer ballettartigen Kunstausübung“ diene, sondern zur „Ausübung von Breiten- bzw. Freizeitsport“. Das schließe die „Einordung als Kunst“ aus (BSG, 07.12.2006 - B 3 KR 11/06 R). Und noch vor sieben Jahren wurde die Fernseh-Show „Let’s dance“ von der Zahlung der Künstlersozialabgabe entbunden, weil deren Tänzerinnen und Tänzer nach Meinung des BSG „Tanzsportler und keine Künstler“ waren (BSG, 28.09.2017 - B 3 KS 1/17 R). Dagegen wurde der Anspruch einer Jazztanz-Pädagogin auf die Künstlersozialversicherung vom BSG bestätigt, weil sie nach Meinung der Richter „Tanzkunst“ und nicht „Tanzsport“ lehrte (BSG, 25.11.2015 - B 3 KS 3/14 R).
- Tätowieren
Auch eine Diplom-Designerin, die selbstständig als Illustratorin und vor allem als Tätowiererin arbeitet, setzte vor dem BSG ihre Aufnahme in die KSK durch (BSG, 27.06.2024 - B 3 KS 1/23 R). Damit dürfte sich die Rechtslage zur Künstlersozialversicherung von Selbstständigen im Tattoo-Bereich gebessert haben. Noch 2007 hielt das Gericht Tätowieren für eine „handwerkliche Tätigkeit im weiteren Sinne“. Nur Tätowierer, die sich auf das Gestalten von Vorlagen beschränkten oder über die Tattoo-Szene hinaus als Künstler anerkannt waren, konnten nach damaliger Rechtsprechung in die KSK eintreten (BSG, 28.02.2007 - B 3 KS 2/07 R).
Und auch nach dem neuen Urteil muss die Künstlersozialkasse nicht alle selbstständigen Tätowiererinnen und Tätowierer aufnehmen. Das gilt nur, wenn sie „künstlerisch ausgebildet oder als Künstler anerkannt“ sind, nicht jedoch, wenn ihr Schwerpunkt auf dem „Einsatz manuell-technischer Fähigkeiten“ liegt. Für eine KSK-Mitgliedschaft muss das Tätowieren mehr sein als „die bloße technische Umsetzung einer kreativen Idee“. Wie die KSK diese Vorgabe aus dem Urteil in der Praxis umsetzt, bleibt abzuwarten.
- Zeremonienleitung und Feierreden
Weniger Erfolg hatte eine Selbstständige, die ihr Geld als Rednerin und mit der zeremoniellen Leitung bei freien Trauungen verdient. Reden halten sei keine künstlerische Tätigkeit, so das BSG. Nur bei schauspielähnlichen Darbietungen wie der Rezitation oder dem Märchenerzählen sah es eine Form darstellender Kunst. Und da die Hochzeitsreden nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, übte die Frau nach Ansicht der Richter auch keine publizistische Tätigkeit aus (BSG, 27.06.2024 - B 3 KS 2/22 R).
Was bedeutet „künstlerisch oder publizistisch“?
In Verfahren dieser Art vor den Sozialgerichten geht es regelmäßig um die Frage, ob die Selbstständigen, die in die KSK aufgenommen werden möchten, wirklich eine „künstlerische oder publizistische Tätigkeit“ ausüben. Definiert werden diese Begriffe im Gesetz nicht.
Vorteilhaft ist es, wenn ein bestimmter selbstständiger Beruf im „Künstlerbericht“ verzeichnet ist, den die Bundesregierung 1975 erstellen ließ. Dort fehlen allerdings viele Tätigkeiten, schon weil sie wie im Fall der Game Designerin oder des Influencers damals schlicht noch nicht existierten. Auch deshalb haben die Gerichte verschiedene Aspekte herausgearbeitet, die für oder gegen eine solche Tätigkeit sprechen. Die Künstlersozialkasse beruft sich auf diese Punkte.
Gleichzeitig ändert sich die Rechtslage immer wieder. Berufsgruppen, die bisher von der Künstlersozialkasse ausgeschlossen waren, erhalten durch neue Rechtsprechung neue Chancen. Entscheidend ist im Konfliktfall und vor Gericht stets der Einzelfall: der oder die KSK-Interessierte muss nachweisen, dass die Tätigkeit im eigenen konkreten Fall ausreichend kreativ und selbstbestimmt ist und wirklich im künstlerischen oder publizistischen Bereich liegt.
Einige Beispiele: Aspekte, die über die KSK-Versicherung entscheiden
- Wichtig ist stets, dass die Tätigkeit einen eigenen kreativen Spielraum ermöglicht. Das bestreitet die KSK zum Beispiel regelmäßig bei Restauratorinnen und Restauratoren. Deren Arbeit wird als zu wenig eigenschöpferisch eingeordnet. Dagegen wird bei selbstständigen Kameraleute grundsätzlich von einem eigenen kreativen Beitrag zum Film oder Video ausgegangen (BSG, 29.11.2016 - B 3 KS 2/15 R).
- Übersetzerinnen und Übersetzer liefern ein weiteres Beispiel, wie zentral der Aspekt des kreativen Spielraums bei der täglichen Arbeit sein kann. Bei literarischer und selbst bei wissenschaftlicher Übersetzung besteht ein Aufnahmeanspruch in die KSK. Dagegen wurde eine Übersetzerin von Werbematerial und Bedienungsanleitungen abgelehnt (BSG, 04.06.2019 - B 3 KS 2/18 R und 12.2006 - B 3 KR 2/06 R).
- Ein Hindernis für die KSK-Aufnahme ist es, wenn die selbstständige Tätigkeit zwar ein kreatives Element umfasst, das Geld aber mit der Herstellung und dem Verkauf der selbst gestalteten Entwürfe verdient wird. Mit dieser Begründung verwehrte das Bundessozialgericht einer Modedesignerin die KSK-Aufnahme. Die Entscheidung wäre wohl anders ausgefallen, wenn sie ihre Kreationen nur in Lizenz an Dritte verkauft hätte. (BSG, 21.06.2012 - B 3 KS 1/11 R).
- Selbstständige Berufe, die von den Gerichten dem Kunsthandwerk zugeordnet werden, fallen nicht unter die Versicherungspflicht gemäß KSVG. Deshalb wurde beispielsweise einer Schmuckgestalterin die Mitgliedschaft in der KSK verweigert: ihre Arbeit war für das Sozialgericht Frankfurt kunsthandwerklich (SG Frankfurt/Main, 27.03.2012 - S 25 KR 182/09).
- Auch die Abgrenzung von ingenieur-artigen Berufen kann entscheidend sein. Lange Zeit hatte die KSK bei selbstständigen Webdesignern und Webdesignerinnen argumentiert, ihre Tätigkeit sei eher mit der eines Ingenieurs oder einer Programmiererin vergleichbar. Erst als das Bundessozialgericht einer Webdesignerin einen „eigenschöpferischen Gestaltungsspielraum“ zusprach, da die „kreative Gestaltung“ der Webseiten bei ihrer Arbeit im Vordergrund stehe, wurde der Weg für diese Berufsgruppe frei (BSG 7.7.2005, B 3 KR 37/04 R). Entscheidend ist weiterhin, dass die Gestaltung und nicht etwa Administration oder technische Anpassung die Tätigkeit prägt.
Fazit: Nicht gleich aufgeben, bei Bedarf beraten lassen
Das sind keineswegs alle Gesichtspunkte, die darüber entscheiden, ob eine bestimmte selbstständige Tätigkeit für die KSK „künstlerisch“ oder „publizistisch“ genug ist. Es gibt auch eine ganze Reihe weiterer Tätigkeitsfelder, die regelmäßig umstritten sind. So viel ist jedoch klar: Die richtige Darstellung der eigenen freiberuflichen Aktivitäten im Anmelde-Fragebogen der Künstlersozialversicherung kann über den Erfolg der Anmeldung entscheiden.
Wichtig ist es, die eigenschöpferische und kreative Komponente der eigenen Arbeit zu betonen. Man sollte herausstellen, dass man mit der Verwertung der kreativen Leistung Geld verdient und diese nicht nur eine Vorarbeit oder einen Arbeitsschritt darstellt. Zentral ist außerdem die Abgrenzung von …
- kunsthandwerklicher, handwerklicher oder sonstiger gewerblicher Arbeit,
- Beratung oder Management sowie …
- Sport und Freizeitangeboten.
Beim Lehren künstlerischer oder publizistischer Inhalte sollte deutlich werden, dass die Vermittlung der kreativen Fertigkeit mögliche pädagogische oder Betreuungselemente klar überwiegt.
Es gibt keinen Grund, nach einer ersten Ablehnung gleich die Flinte ins Korn zu werfen. In vielen Fällen bringt ein gut formulierter Widerspruch doch noch den Erfolg. Voraussetzung ist natürlich, dass der Versicherungsanspruch begründbar ist. Es kann sich lohnen, dafür eine Beraterin oder einen Berater ins Boot zu holen, die die Rechtslage kennen und wissen, wie die KSK-Mitarbeiter ticken. Helfen können eine Anwältin oder ein Anwalt für Sozialrecht oder auch eine der Kreativen-Beratungen, die sich auf KSK-Anträge spezialisiert haben.
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