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Kunst, Kunstgewerbe und Kunsthandwerk: Abgrenzung mit Folgen für die Selbstständigkeit

8. Nov. 2023
9 MIN

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Was ist Kunst? Diese Frage beschäftigt nicht nur Kulturphilosophen. Wird eine selbstständige Tätigkeit als künstlerisch eingeordnet, hat dies direkte Folgen für Steuern, Buchführungspflichten und die Sozialversicherung. Im Zweifel können Gutachten entscheiden.

Künstlerische Tätigkeit oder nicht? Eine Frage mit finanzieller Bedeutung für die Selbstständigkeit

„Ist das wirklich Kunst?“ Eine solche Frage kann sich nicht nur auf ästhetische Standpunkte beziehen. Manchmal geht es dabei auch um handfeste finanzielle Aspekte:

  • Selbstständige Künstlerinnen und Künstler üben einen freien Beruf aus. Deshalb zahlen sie keine Gewerbesteuer und müssen selbst bei höherem Umsatz oder Gewinn nicht zur doppelten Buchführung übergehen. Handwerkerinnen und Handwerker betreiben dagegen ein Gewerbe und sind gewerbesteuerpflichtig. Bei Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerkern entscheidet die „gestalterische Leistung“, ob sie als künstlerisch oder handwerklich gelten.
  • Selbstständige Künstler und Künstlerinnen werden nicht in die Handwerksrolle eingetragen und zahlen keine Kammerbeiträge.
  • Selbstständige mit einer künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit werden günstig über die Künstlersozialkasse versichert. Andere Selbstständige haben diese Möglichkeit nicht.
  • Für Beschäftigte in bestimmten Berufen entscheidet der künstlerische Aspekt darüber, ob der Arbeitgeber Beiträge zu tariflichen Sozialkassen zahlen muss. Diese Frage stellt sich zum Beispiel bei Restauratoren.

Freiberufliche Kunst oder selbstständiges Gewerbe: eine häufige Streitfrage

Für die Finanzgerichte ist die „eigenschöpferische Leistung“ und eine ausreichende „künstlerische Gestaltungshöhe“ bei der selbstständigen Tätigkeit entscheidend.

So zeigte sich der Bundesfinanzhof, das oberste deutsche Steuergericht, skeptisch bei einem Schnitzer, der nach kleinen Vorlagen großformatige Wappen aus Holz anfertigte. Die Richter hielten es für wahrscheinlich, dass dies nach festen Vorgaben und damit handwerklich geschah. Gleichzeitig schnitzte der Mann Heiligenreliefs: Hier ging das Gericht von „zweckfreien Schöpfungen“ aus, die somit künstlerisch waren.

Die Richter wiesen darauf hin, dass gewerbliche und als auch freiberufliche Einkünfte gleichzeitig vorliegen können (BFH, 11.7.1991 - IV R 15/90). Wenn möglich, müssen dann die Einkünfte getrennt erfasst werden.

Kein Ausschlusskriterium für eine künstlerische Tätigkeit ist dagegen, dass Dinge mit gewerblichem Verwendungszweck beziehungsweise Gebrauchsgegenstände produziert werden. Auch an einer fehlenden künstlerischen Ausbildung muss die „Künstlereigenschaft“ nicht scheitern. Und selbst die künstlerische Schöpfungshöhe, die über das Urheberrecht entscheidet, muss für eine künstlerische Betätigung nicht notwendig vorliegen. Kernkriterium ist für die Rechtsprechung vielmehr die eigenschöpferische Umsetzung.

Künstlerischer Anspruch vor dem Finanzgericht: Beispiele aus der Rechtsprechung

Ein Blick in die offiziellen „Amtlichen Hinweise“ in den Einkommensteuer-Richtlinien des Bundesfinanzministerium zeigt, dass die Streitfrage „Kunst oder nicht?“ die Finanzgerichte schon seit vielen Jahren beschäftigt (EStH H 15.6). Als künstlerisch-freiberuflich eingeordnet haben die Gerichte beispielsweise …

  • die Entwürfe eines Industrie-Designer, wenn die von ihm gestalteten Möbel und Taschen die notwendige „künstlerische Gestaltungshöhe“ erreichen (BFH, 23.08.1990, IV R 61/89).
  • von einem Kunsthandwerker als Einzelstücke gestaltete Lampen mit besonderem geometrischem Lichtmuster (BFH, 26.09.1968 - IV 43/64).
  • die Restauration von Kunstwerken, wenn die Wiederherstellung stark beschädigter Kunstwerke eine eigenschöpferische Leistung des Restaurators erfordert (BFH, 04.11.2004 - IV R 63/02).
  • die Beratung von Textilunternehmen durch einen als künstlerisch anerkannten Modeschöpfer (BFH, 02.10.1968 - I R 1/66).
  • die Arbeit eines Kameramanns fürs Fernsehen und für Lehrfilme, wenn bei der Kameraarbeit eine „künstlerische Ausgestaltung“ vorliegt (BFH, 07.03.1974, IV R 196/72).
  • ein Tanz‑ und Unterhaltungsorchester, wenn es einen „bestimmten Qualitätsstandard“ erreicht. Die Urteilsbegründung enthält den denkwürdigen Satz: „Was Kunst ist, lässt sich begrifflich kaum erfassen.“ Die Bewertung könne „häufig nur aufgrund eines Gutachtens getroffen werden.“ (BFH, 19.08.1982 - IV R 64/79).
  • Auftritte eines Showmasters in Werbefilmen, entscheidend war, dass die Mitwirkung eine „eigenschöpferische Leistung“ darstellte und nicht nur darin bestand, „die Rolle eines Produktbenutzers zu spielen“ (BFH, 11.7.1991 - IV R 33/90).

Abgelehnt wurde die „Kunsteigenschaft“ dagegen für …

  • Fotostrecken für Zeitschriften wie „Schöner Wohnen“ und „Für Sie“, in denen es um Einrichtungen sowie Essen und Trinken ging, obwohl der Fotograf die Motive auswählte und arrangierte. Die Richter sahen darin Werbefotografie. Die zählt als gewerblich, nicht künstlerisch, weil dabei die „individuellen Interessen des Abnehmers“ entscheiden (BFH, 19.2.1998 - IV R 50/96).
  • das Klavierstimmen für berühmte Konzertpianisten: Obwohl dafür „außergewöhnliche Musikalität“ erforderlich ist, nimmt der Klavierstimmer keinen eigenschöpferischen Einfluss auf die Darbietung (BFH, 22.03.1990 - IV R 145/88).
  • die Restauration von Kunstwerken, wenn die Arbeit sich auf deren Festigung, die Sicherung von Bausubstanz oder das Reinigen von Bildern beschränkt (BFH, 04.11.2004 - IV R 63/02).
  • das reine Verlesen von Nachrichten als Rundfunksprecher, weil dies keine ausreichende schöpferische Gestaltung erlaubt (BFH, 24.10.1963, Az.: V 52/61 U).
  • Teleshopping-Moderation für einen Verkaufssender, dies sei weder einer schriftstellerischen noch einer journalistischen Tätigkeit ähnlich, die zu präsentierenden Verkaufsargumente und Produkteigenschaften seien vom Auftraggeber vorgegeben (BFH, 16.09.2014 - VIII R 5/12).

Kunst oder nicht? Im Zweifel entscheiden Gutachten

Wenn Selbstständige vor Gericht darüber streiten, ob eine künstlerische Tätigkeit vorliegt, sind fast immer Gutachten im Spiel. Wie erwähnt sehen Gerichte den entscheidenden Gesichtspunkt normalerweise in der Gestaltungsfreiheit, manchmal auch die Gestaltungshöhe. Zu beiden Punkten hören die Richter meist Sachverständige an.

Die kommen jedoch nicht erst zu Wort, wenn der Streit vor dem Finanzgericht endet. In seiner Verfügung über die „Feststellung der Künstlereigenschaft“ vom 31. Mai 2023 weist das Bayerische Landesamt für Steuern darauf hin, dass Selbstständige schon gegenüber dem Finanzamt auf die Beurteilung durch externe Sachverständige bestehen können. In Bayern gibt es dafür feste Gutachterkommissionen zu den Bereichen Malerei und Plastik, Kunstgewerbe, Musik sowie Gebrauchsgrafik und Fotodesign. Diese Kommissionen beurteilen, ob der oder die Selbstständige aus ihrer Sicht künstlerisch tätig ist. Alternativ ist auch die Verpflichtung eigener Sachverständiger möglich.

Als mögliche Kriterien für die „Künstlereigenschaft“ nennt die Verfügung die Vorbildung (z. B. das Studium an einer Kunsthochschule), Presseveröffentlichungen, Kritiken in Kunstzeitschriften, die Beteiligung an Ausstellungen sowie die Mitgliedschaft in einschlägigen Berufsverbänden.

Künstlerische Tätigkeiten: die Sicht der Künstlersozialkasse

Selbstständige mit einer publizistischen oder künstlerischen Tätigkeit werden über die Künstlersozialkasse (KSK) pflichtversichert. Dort müssen sie analog zu Beschäftigten nur die Hälfte der Versicherungsbeiträge selbst tragen. (Weitere Informationen stehen im Beitrag „Nicht nur für Kreative: Künstlersozialversicherung und Künstlersozialabgabe“.)

Diese Form der Absicherung ist für viele Selbstständige attraktiv. Die Künstlersozialkasse achtet jedoch genau darauf, ob die ausgeübte Tätigkeit in ihren Katalog der akzeptierten Tätigkeiten fällt und damit aus ihrer Sicht tatsächlich künstlerisch (oder publizistisch) ist. Nur dann ist die Aufnahme in die KSK möglich. Der Katalog umfasst neben klassischen Kunstberufen wie dem des Musikers oder der Bildhauerin auch die Tätigkeit als selbstständiger Büttenredner, als Dramaturgin, als Komiker oder Licht-Designerin, um nur einige Beispiele zu nennen.

Die Sozialkasse des Baugewerbes: Kunst schützt vor Beitragspflicht zur SOKA-Bau

Schließlich kann es auch mit den tariflichen Sozialkassen Diskussionen über künstlerische Betätigung geben. Dabei geht es um Beiträge für die Beschäftigten, nicht für den Unternehmer oder die Unternehmerin selbst. Der Arbeitgeber muss mögliche Beiträge allerdings bezahlen.

Ein typisches Beispiel für Konflikte liefern Restauratoren von Bauwerken. Wird deren Arbeit als handwerklich eingestuft, fallen schnell Beiträge zur Zusatzversorgungskasse des Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerks (ZVK-Steinmetz) an. In manchen Fällen fordert die Sozialkasse der Bauwirtschaft (SOKA-Bau) Beiträge. Tarifliche Sozialkassen wurden von den Tarifparteien geschaffen. Da das Bundesarbeitsministerium die entsprechenden Tarifverträge für allgemeingültig erklärt hat, trifft die Beitragspflicht auch nicht tarifgebundene Betriebe.

  • Das Landesarbeitsgericht hat die Einordnung von Restaurationsarbeiten an mittelalterlichen Fassaden als „künstlerische Tätigkeit“ ausdrücklich abgelehnt, da die Fassaden keine Kunstwerke darstellten. Deshalb war die Tätigkeit gewerblich, der Arbeitgeber wurde zur Beitragszahlung an die SOKA-Bau verurteilt (LAG Hessen, 22.01.2016 - 10 Sa 804/15, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig).
  • Ähnlich entschied das LAG Hessen in einem vergleichbaren Fall: Die Restaurationsarbeiten seien nicht künstlerisch, da die Restauratoren „nicht ihre individuelle Anschauungsweise und besondere Gestaltungskraft“ zum Ausdruck brächten. Auch hier wurden der SOKA-Bau Beiträge zugesprochen (LAG Hessen, 17.09.2021 - 10 Sa 1088/20 SK).
  • In einem dritten Fall lehnte dasselbe Gericht die Beitragszahlung an die ZVK-Steinmetz ab. In diesem Fall hatte der Restaurator ein Studium abgeschlossen. Die Richter sahen seine Arbeit als „Dienstleistung höherer Art“, nicht als beitragspflichtiges Handwerk (LAG Hessen, 10.05.2019 - 10 Sa 275/18 SK).

Zum Weiterlesen: Praxisfrage zur Gründung als Kunsthandwerkerin

Die Frage einer Leserin zu ihrem Gründungsvorhaben wurde auf dem Existenzgründungsportal des Bundeswirtschaftsministeriums ausführlich beantwortet: „Selbst angefertigtes Kunsthandwerk verkaufen: freiberuflich oder gewerblich“. Die Antwort zeigt, welche Aspekte in der Praxis eine Rolle spielen können.

 

Lektüretipps

Weiterführende Informationen zu Rechts- und Steuerthemen finden Sie im orgaMAX-Blog und im Newsletter-Archiv:

 

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