Ihr Kunde bezahlt nicht, dummerweise liegt seine Adresse in einem anderen EU-Land? Kein Grund, die Forderung abzuschreiben. Für das Inkasso über EU-Grenzen hinweg gibt es mehrere Optionen.
Zumindest ab und an kommt es vor, dass Kunden nicht bezahlen – obwohl die Lieferung oder die Dienstleistung korrekt abgewickelt und eine fehlerfreie Rechnung gestellt wurde. Wenn selbst gut formulierte Zahlungserinnerungen keine Reaktion bringen, bleibt nur der Übergang zu härteren Bandagen.
Am Ende steht in beiden Fällen ein Titel. Sobald Ihre Forderung tituliert wurde, haben Sie gewissermaßen eine Bescheinigung darüber, dass Ihnen ein entsprechender Geldbetrag zusteht. Damit können Sie im nächsten Schritt die Zwangsvollstreckung veranlassen, zum Beispiel die Pfändung von Konten, Ansprüchen des Schuldners gegen Dritte oder von Wertgegenständen.
Wenn der Wohn- oder Firmensitz des Schuldners in einem anderen EU-Land liegt, wird es etwas komplizierter. Allerdings gibt es auch dann gute Möglichkeiten, um als Gläubiger an Geld kommen. Dafür stehen Ihnen grundsätzlich drei verschiedene Wege offen:
Eine reguläre Zahlungsklage ist auch dann möglich, wenn der Gläubiger seinen Sitz in Deutschland und der Schuldner seinen Sitz in einem anderen EU-Land hat. Ein einheitliches Vorgehen gibt es dabei nicht. Zunächst muss erst einmal geklärt werden, wo der Gerichtsstand liegt und welches materielle Recht gilt. Das wiederum hängt vor allem davon ab, was vertraglich vereinbart wurde.
Eine wichtige Besonderheit besteht, wenn der Schuldner ein Verbraucher oder eine Verbraucherin ist: In diesem Fall liegt gemäß EU-Recht der Gerichtsstand stets an deren Wohnort. Davon ausgenommen ist nur Dänemark. Der Shop-Betreiber muss den französischen Privatkunden, der die Rechnung nicht begleicht, also in Frankreich verklagen.
Anders ist es zwischen Geschäftsleuten:
Unter Umständen kommt man um eine Klage im Ausland nicht herum. Es ist sogar möglich, dass ein deutsches Gericht das Recht eines anderen EU-Landes anwendet oder umgekehrt. Es kann also kompliziert sein. Ohne Anwalt, der das Vertragsverhältnis prüft und die rechtlichen Schritte betreut, wird es in den meisten Fällen kaum gehen. Besondere Komplexität droht, wenn die AGB beider Seiten unterschiedliche Festlegungen zum Gerichtsstand oder zum anwendbaren Recht treffen.
Immerhin: Wenn der Rechtsstreit nur EU-Länder betrifft, werden die Entscheidungen des Gerichts im einen Land im anderen Land anerkannt. Hat der deutsche Grafikdesigner vor dem Frankfurter Gericht eine titulierte Forderung gegen das Wiener Unternehmen erwirkt, kann er eine Vollstreckbarkeitsbescheinigung beantragen. Mit dieser lässt sich in Österreich beim zuständigen Bezirksgericht die „Exekution“ beantragen, beispielsweise eine Kontenpfändung.
Solange die Forderung aus einer Zivil oder Handelssache stammt und 5.000 Euro nicht überschreitet, gibt es eine wesentlich unaufwändigere Alternative: das „europäische Verfahren für geringfügige Forderungen“, oft auch als Small-Claims-Verfahren bezeichnet. Selbständige aus Deutschland können es sowohl für Unternehmen wie für Verbraucher aus einem anderen EU-Staat wählen, die ihnen Geld schulden. Einzige Ausnahme ist Dänemark. Außerdem kann das Verfahren nicht für arbeitsrechtliche und Unterhaltsforderungen genutzt werden.
Für das Verfahren fallen Gebühren an, die vom jeweiligen Land abhängen. Sie liegen allerdings deutlich unter den Rechtskosten, die ein reguläres Zivilverfahren verursacht. Weiterer Vorteil: Beim Small-Claims-Verfahren hat das Gericht eine Entscheidung innerhalb von 30 Tagen zu treffen. Wird die Forderung vom Gericht anerkannt, darf der Gläubiger ohne zusätzliche Vollstreckbarerklärung im anderen EU-Land direkt Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wie die Pfändung einleiten.
Das zuständige Gericht kann wie bei regulären Zahlungsklagen in Deutschland oder im anderen EU-Land liegen, das hängt auch beim Small-Claims-Verfahren vom Fall ab, etwa vom möglichen Verbraucherstatus des Schuldners. In Deutschland sind Amtsgerichte für das Small-Claims-Verfahren zuständig. Es läuft über Formblätter, die zwischen dem Gläubiger, dem Gericht und dem Schuldner ausgetauscht werden. Ein Anwalt ist nicht notwendig. Meist ergeht direkt eine schriftliche Entscheidung. In einzelnen Fällen kommt es zur mündlichen Verhandlung in Form einer Videokonferenz.
Schließlich gibt es noch das europäische Mahnverfahren, an dessen Ende bei Erfolg der Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls steht. Es ist ebenfalls für grenzüberschreitende Forderungen bis 5.000 Euro gedacht und für alle EU-Länder außer Dänemark möglich. Wie das gerichtliche Mahnverfahren in Deutschland bietet es sich an, wenn die Forderung voraussichtlich nicht bestritten wird. Legt der Schuldner Widerspruch ein, werden statt des Mahnverfahren ein Small-Claims-Verfahren oder eine Zahlungsklage nötig.
Das Verfahren lässt sich online abwickeln. Allerdings fallen auch hierbei Gebühren an. Der Gläubiger füllt zunächst das „Formblatt A“ aus und übermittelt es an das zuständige Gericht in Deutschland oder im anderen EU-Land. Als europäisches Mahngericht Deutschland fungiert das Amtsgericht Berlin-Wedding. Belege, Vertragsunterlagen und andere Nachweise werden nicht benötigt. Das Gericht unternimmt die weiteren Schritte. Legt der Schuldner keinen Widerspruch ein, erhält der Gläubiger nach 30 Tagen einen europäischen Zahlungsbefehl, der automatisch vollstreckbar ist. Der Gläubiger kann damit direkt zur Pfändung übergehen oder die Forderung auf andere Weise geltend machen.
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