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Barrierefreiheit-Pflicht für Online-Shops, Produkte und Dienstleistungen

Geschrieben von orgaMAX Redaktionsteam | 29.01.25 12:01

2025 wird Barrierefreiheit zur gesetzlichen Pflicht. Produkte, Geräte, Dienstleistungen und E-Commerce-Angebote sollen auch für Menschen mit Einschränkungen nutzbar sein. Das Gesetz sieht zwar Ausnahmen vor. Doch für viele Händler, Hersteller, Dienstleister, App-Anbieter und Website-Betreiber läuft der Countdown.

 

Im Juni 2025 wird barrierearme Gestaltung Vorschrift

In wenigen Monaten, am 28. Juni 2025, tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft. Es verpflichtet die Hersteller, Händler und Anbieter bei vielen Produkten und Dienstleistungen zu einer barrierearmen Gestaltung. Betroffen sind auch E-Commerce-Angebote. Mit der neuen Barrierefreiheit-Pflicht müssen Unternehmen sicherstellen, dass ihre Angebote für Menschen mit Einschränkungen nutzbar sind.

Für Unternehmen, die von den neuen Regelungen betroffen sind, wird es Zeit, sich mit den neuen Vorgaben zu befassen. Händler und Importeure sollten ihre Lieferanten verpflichten, Hersteller ihre Produkte auf Einhaltung der Vorgaben überprüfen. Dienstleistungskonzepte, Websites, Apps sowie Informationsangebote müssen erweitert oder überarbeitet werden.

Bei Verstößen sieht das neue Gesetz empfindliche Bußgelder vor. Für die Überwachung werden neue Behörden mit umfassenden Kontrollbefugnissen eingerichtet. Sie können Produkte und Dienstleistungen vom Markt nehmen, wenn unzulässige Barrieren für Menschen mit Behinderungen nicht beseitigt werden. Es besteht also Handlungsbedarf.

 

Rechtsgrundlage und weitere Informationen

Die neuen Regelungen stehen im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, kurz BFSG. Es setzt eine europäische Richtlinie zur Barrierefreiheit in deutsches Recht um, den European Accessibility Act oder EAA.

Konkrete Vorgaben zur Umsetzung der neuen Vorschriften macht eine dazugehörige Verordnung, die BFSGV.

Ab 2025 soll die Bundesfachstelle Barrierefreiheit betroffene Unternehmen mit Know-how unterstützen. Bisher gibt es dort die Aufzeichnung einer Webinar-Reihe für E-Commerce-Anbieter.

 

Wen betrifft das neue Gesetz?

Die Barrierefreiheitsvorgaben gelten für:

  • Hersteller
  • Importeure
  • Händler
  • Dienstleister
  • Betreiber von E-Commerce-Angeboten (Apps, Online-Shops, Plattformen)

Voraussetzung ist, dass ihre Produkte, Dienstleistungen oder E-Commerce-Dienste vom BFSG erfasst sind.

 

Wer muss sich nicht um das neue Gesetz kümmern?

Richtet sich das Produkt- oder Dienstleistungsangebot ausschließlich an andere Unternehmen und nicht an Verbraucher, entfaltet das Gesetz keine Wirkung.

Eine weitere Ausnahme gilt für Kleinstunternehmen, allerdings nur in Bezug auf Dienstleistungen. Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz/einer Jahresbilanzsumme von maximal 2 Millionen Euro müssen die Vorgaben zur Barrierefreiheit bei Dienstleistungen nicht einhalten.

E-Commerce-Angebote zählen als Dienstleistungen, sodass diese Einschränkung auch Online-Shop-Betreiber erfasst.

Bei Produkten gelten die Regelungen zur Barrierefreiheit dagegen unabhängig von der Unternehmensgröße. Verkauft ein Shop-Betreiber die im Gesetz genannten Waren, muss er sich bei seinem Sortiment auch als Solo-Selbstständiger mit überschaubarem Umsatz daran halten.

 

Für was gelten neue Barrierefreiheits-Anforderungen?

Das BFSG bezieht sich sowohl auf Produkte als auch auf Dienstleistungen.

An Produkten nennt es:

  • Smartphones, Tablets, Notebooks, Laptops und Desktop-Computer: das Gesetz spricht von „Hardwaresystemen für Universalrechner für Verbraucher inkl. Betriebssysteme“
  • Ticketautomaten, SB-Kassen, Terminals für SB-Check-In, Geldautomaten sowie Informations-Terminals, im BFSG ist von „Zahlungsterminals“ und „Selbstbedienungsterminals“ die Rede
  • Router und andere Netzwerk- und Telekommunikations-Geräte für den privaten Gebrauch, soweit sie Einstellungen erlauben („Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für Telekommunikationsdienste verwendet werden“)
  • Smart TVs, Spielkonsolen und andere Unterhaltungselektronik mit Internet-Zugang zur privaten Nutzung („Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden“)
  • E-Book-Lesegeräte

Zu den im BFSG erwähnten Dienstleistungen gehören:

  • „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“, darunter fallen E-Commerce-Angebote aller Art wie Online-Shops, Verkaufsplattformen, Shopping-Apps, Preisvergleichsdienste, Auktionsplattformen und ähnliches mehr
  • „Telekommunikationsdienste“ wie Messenger-, Chat- und SMS-Services oder Telefonie-Dienste (reine Netzdienste, die nur Verbindungen zwischen Maschinen herstellen, gehören nicht dazu)
  • „Bankdienstleistungen“ für Verbraucher, etwa auf Websites für Online-Kreditanträge
  • E-Books und E-Book-Reader-Software
  • Informationen zu öffentlichen Personenbeförderungsdiensten per Bus, Schiene oder im Luft- und Schiffsverkehr, zum Beispiel Terminals, Websites und Apps zur Buchung, zum Fahrkartenkauf und für Fahrplanauskünfte, bei regionalen ÖPNV-Anbietern sind nur Terminals betroffen.

Bei Websites und Apps gibt es bestimmte Ausnahmen, die nicht barrierefrei sein müssen:

  • Aufgezeichnete Online-Medien (Audio und Video) sowie Office-Dateien, die vor dem Inkrafttreten am 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden oder werden
  • Online-Inhalte von Dritten, auf die der Anbieter keinen Einfluss hat
  • Online-Kartendienste, soweit alternativ eine barrierefreie Navigationsmöglichkeit bereitgestellt wird
  • Online-Archive, wenn die Inhalte ab dem 28. Juni 2025 nicht mehr aktualisiert oder überarbeitet werden

 

Worum geht es bei der Barrierefreiheit?

Produkte, Dienstleistungen und Informationsangebote sollen auch für Menschen mit einer Behinderung nutzbar sein. Diese Pflicht ist der Kern des neuen Gesetzes. Es definiert die Anforderung so: „Produkte und Dienstleistungen sind barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind“ (§ 3 Abs. 1 BFSG).

Konkrete Vorgaben zu dieser abstrakten Festlegung enthält die Verordnung zum Barrierefreiheitsgesetz. Anforderungen werden definiert für

  • Funktionen und Schnittstellen der Produkte und Dienstleistungen selbst
  • dazugehörige Produktinformationen, Support- und Schulungsangebote, Verpackungen und Anleitungen

Eine typische Vorgabe ist zum Beispiel, dass Produktinformationen wie Hinweise zur Haltbarkeit oder Entsorgung über mehr als einen Sinneskanal bereitgestellt werden müssen. Alternativ zur visuellen Lesbarkeit sollten Textinformationen also etwa auch in Brailleschrift und/oder akustisch verfügbar sein. Für Nutzer mit eingeschränktem Sehvermögen soll die Schrift groß genug beziehungsweise einstellbar sein. Kontraste müssen ausreichend stark gewählt werden. Bei grafischen Informationen ist eine alternative Darstellung vorgeschrieben, bei digitalen Grafiken etwa ein ALT-Text.

Das sind nur Beispiele. Die Verordnung macht zu den verschiedenen Produkt- und Dienstleistungstypen jeweils eigene Vorgaben. So sollen Info-Terminals etwa die Nutzung durch Einzelkopfhörer ermöglichen und taktil erkennbare Schalter oder Knöpfe haben. Bei Bankdienstleistungen ist für die Erläuterungen ein leicht verständliches Sprachniveau vorgeschrieben.

Dazu kommen Pflichtinformationen zu den angebotenen barrierefreien Funktionen. E-Commerce-Angebote wie Apps oder Online-Shops müssen Nutzer und Besucher über die angebotenen Optionen für Menschen mit Behinderungen informieren. Sie sollten also eine Barrierefreiheitserklärung veröffentlichen.

 

Entscheidend: Der Stand der Technik

Die Verordnung macht – unter anderem – den „Stand der Technik“ zum zentralen Kriterium. Die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit hat die Aufgabe, Anforderungslisten und Konformitätstabellen für die oben genannten Produkte und Dienstleistungen zu veröffentlichen. Werden sie eingehalten, gilt eine Konformitätsvermutung. Dann wird davon ausgegangen, dass die Barrierefreiheit den erforderlichen Standard erfüllt. Das Gleiche gilt, wenn als barrierefrei anerkannte, einschlägige ISO-Normen und EU-Standards umgesetzt werden.

 

Starttermin und Übergangsfristen

Die neuen Barrierefreiheitsvorschriften gelten ab dem 28. Juni 2025. Ab dann müssen alle neu in Verkehr gebrachten Produkte die genannten Anforderungen erfüllen, ebenso alle ab diesem Termin erbrachten Dienstleistungen. Der Termin ist außerdem der Stichtag für E-Commerce-Websites und -Apps.

Waren und Produkte, die vor diesem Tag hergestellt oder beschafft wurden, dürfen auch danach verkauft werden, selbst wenn sie nicht barrierefrei sind.

Dienstleistungen dürfen noch bis 2030 mit nicht barrierefreien Produkten erbracht werden, wenn diese schon vor dem 28. Juni 2025 eingesetzt wurden. Dienstleistungsverträge, die vor diesem Tag abgeschlossen wurden, können ebenfalls fünf Jahre in der alten Form ausgeführt werden.

Eine besondere Übergangsfrist gilt für Selbstbedienungsterminals. Wenn sie vor dem 28. Juni 2025 aufgestellt wurden, müssen sie spätestens nach einer Einsatzdauer von 15 Jahren gegen ein barrierefreies Modell ausgetauscht werden.

 

Risiko bei BFSG-Verstößen: Bußgelder und Vertriebsverbote

Das neue Gesetz sieht vor, dass die Einhaltung der Barrierefreiheit von eigenen Marktüberwachungsbehörden kontrolliert wird. Offenbar wollen die Bundesländer dafür eine gemeinsame Behörde einrichten.

Die Marktüberwachungsbehörde hat das Recht, von sich aus das Angebot von Selbstständigen und Unternehmen auf Einhaltung der Vorschriften zur Barrierefreiheit zu überprüfen. Sie kann auch auf Hinweise von Verbrauchern reagieren. Werden festgestellte Mängel nicht beseitigt, dürfen die Kontrolleure das Angebot vom Markt nehmen. Sie können den Rückruf von Produkten anordnen, Dienstleistungen untersagen und die Abschaltung nicht barrierefreier E-Commerce-Plattformen durchsetzen.

Dazu kommen mögliche Bußgelder. Sie können bis zu 100.000 Euro erreichen.

 

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