Sie sind selbstständig? Suchen Sie mögliche Kunden direkt auf? Bieten Sie Dienstleistungen „on the road“ an statt im eigenen Geschäft? Nutzen Sie Märkte wie Jahrmärkte, Stadtfeste oder Weihnachtsmärkte für den Verkauf Ihrer Waren? In manchen dieser Fälle üben Sie ein Reisegewerbe aus und benötigen eine Reisegewerbekarte.
Die Gewerbeordnung legt fest, was als Reisegewerbe gilt (§ 55 GewO). Es ist neben dem „stehenden Gewerbe“ an einem festen Ort und dem Marktgewerbe die dritte Form, ein Gewerbe auszuüben. Vereinfacht kann man die Definition so wiedergeben:
Ein solches Reisegewerbe muss angemeldet werden. Nur Personen mit der erforderlichen „Zuverlässigkeit“ dürfen ein Reisegewerbe ausüben (§ 57 Abs. 1 GewO). Das soll die Kunden schützen, da der Händler oder Dienstleister im Fall einer Reklamation oder eines Mangels schwerer greifbar ist als ein stationärer Anbieter.
Als Nachweis für die Erlaubnis wird eine Reisegewerbekarte ausgestellt, die Selbstständige unterwegs stets bei sich führen müssen. Setzen sie mehrere Teams ein, müssen ihre Angestellten eine beglaubigte Kopie vorzeigen können.
Allerdings gibt es bestimmte Ausnahmen, sogenannte „reisegewerbefreie Tätigkeiten“ – siehe nächsten Abschnitt. Keine Reisegewerbekarten benötigt man außerdem für den direkten B2B-Vertrieb beim Kunden: wenn man Selbstständige oder Unternehmen in deren Geschäftsräumen oder selbst im Heimbüro aufsucht.
Wenn Sie selbstständig sind und die folgenden Fragen mit Ja beantworten, brauchen Sie keine Reisegewerbekarte:
Diese Ausnahmen sieht § 55a GewO vor.
Die Abgrenzung von Reisegewerbe und stehendem Gewerbe ist nicht immer ganz einfach. Grundsätzlich gilt: Ein Reisegewerbe liegt vor, wenn die Initiative zum Auftrag vom Selbstständigen ausgeht. Ein typischer Fall wäre der Staubsaugervertreter, der von Tür zu Tür geht. Sucht man die Kunden oder Interessenten auf, weil die sich zuvor gemeldet haben, ist das kein Reisewerbe. Das wäre etwa der Fall bei einer mobilen Friseurin oder einem Brennholz-Lieferanten, die mit Anzeigen oder im Internet werben und auf einen Anruf oder eine E-Mail hin zu den Kunden nach Hause kommen
Das bedeutet umgekehrt: Die eigene Werbung kann dafür sorgen, dass eine Reisegewerbekarte nicht mehr ausreicht und man stattdessen ein reguläres „stehendes Gewerbe“ anmelden sollte. Wer großzügig plakatiert, Anzeigen schaltet oder Visitenkarten verteilt, damit sich potenzielle Kunden bei ihm melden, ist kein Reisegewerbetreibender im Sinne des Gesetzes mehr – die Initiative liegt damit auf Kundenseite. Für das Reisegewerbe müssen der oder die Selbstständige glaubhaft machen, dass sie von sich aus „Bestellungen auf Leistungen aufsuchen“: dass sie Kaltakquise vor Ort betreiben, von Tür zu Tür gehen oder sich mit einem Verkaufsstand oder -fahrzeug irgendwo hinstellen und auf Kundschaft warten.
Für einen Stand auf einem „festgesetzten“ Markt oder einer festgesetzten Messe braucht man keine Reisegewerbekarte. Festsetzung nennt man die behördliche Genehmigung des Marktes. Festgesetzt werden Wochenmärkte, Jahrmärkte und Spezialmärkte wie Mittelaltermärkte, Antikmärkte oder Weihnachtsmärkte, außerdem Ausstellungen sowie Messen.
In all diesen Fällen gibt es einen Veranstalter, der die Genehmigung besorgt, die Organisation übernimmt und die Anbieter auswählt. Dieser Veranstalter kann ein Unternehmen sein, aber auch ein Verein oder die Gemeindeverwaltung. Zu seinen Pflichten gehört es, eine Liste der Marktteilnehmer oder Aussteller zusammenzustellen. Diese üben damit – zumindest auf dem Markt – ein „Gewerbe im Marktverkehr“ aus, kein stehendes und auch kein Reisegewerbe.
Der große Vorteil für die Anbieter: Sie benötigen weder eine Gewerbeanmeldung noch eine Reisegewerbekarte, um auf einem festgesetzten Markt ihre Waren zu verkaufen oder ihre Dienstleistung anzubieten. Das ist grundsätzlich Teil der Marktprivilegien, genauso wie der Umstand, dass dort die Ladenschlussvorschriften nicht gelten.
Nicht zulässig ist unter anderem der Vertrieb beziehungsweise der Verkauf von:
Die Liste ist in § 56 GewO festgelegt.
Für viele Handwerksberufe gilt Meisterpflicht: Ein Friseurgeschäft, ein Malerbetrieb oder eine Zweirad-Werkstatt beispielsweise müssen von einem in der Handwerksrolle eingetragenen Meister oder einer Meisterin geführt werden.
Die Vorschrift gilt jedoch nur im stehenden Gewerbe. Im Reisegewerbe können diese Handwerksberufe grundsätzlich auch ohne Meisterbrief ausgeübt werden. Das hat sogar das Bundesverfassungsgericht im Fall eines Steinmetzgesellen bekräftigt, der von Baustelle zu Baustelle fuhr und seine Dienste anbot (BVerfG, 27.09.2000 - 1 BvR 2176/98). Die Karlsruher Richter stellten zwar fest, dass das Reisegewerbe in der Praxis „im Wesentlichen Reparaturen und kleinere Handreichungen an Ort und Stelle beim Kunden“ betreffe und es „tendenziell“ um Minderhandwerk gehe. Eine gesetzliche Einschränkung auf solche kleineren Reparaturen sahen sie aber nicht.
Trotzdem sollten Handwerker ohne Meisterbrief, die ein zulassungspflichtiges Handwerk als Reisegewerbe ausüben, aufpassen. Sie müssen mit Ärger durch die Handwerkskammern rechnen, wenn diese eine unzulässige Kontaktaufnahme durch die Kunden vermuten statt dem vorgeschriebenen „Aufsuchen von Bestellungen“.
Zuständig ist die Gemeindeverwaltung am Wohnort oder am Sitz des Gewerbebetriebs. Die dort ausgestellte Reisegewerbekarte ist dann für ganz Deutschland gültig. Die Ausstellung kostet eine Gebühr. Deren Höhe variiert von Ort zu Ort. Für den Antrag benötigt man neben dem Personalausweis
Dazu können weitere Unterlagen kommen, beispielsweise ein Handelsregisterauszug bei einer GmbH und bei eingetragenen Kaufleuten oder die Bescheinigung über eine Infektionsschutzbelehrung, falls Lebensmittel verkauft werden.
Selbst wer beim Verkauf „draußen“ keine Reisegewerbekarte benötigt, braucht vielleicht für den eigenen Standort eine Gewerbeanmeldung.
Außerdem können weitere Bescheinigungen, Anmeldungen oder Bewilligungen erforderlich sein. Wer auf der Straße, in Parks oder an ähnlichen Orten seine Waren an Passanten verkauft, benötigt im Regelfall eine Erlaubnis für die Sondernutzung des öffentlichen Raums. Das Gleiche gilt für den Verkauf aus dem Auto heraus auf einem öffentlichen Parkplatz. Der Nachweis einer Infektionsschutzbelehrung (früher Gesundheitszeugnis) ist Voraussetzung, um bestimmte Lebensmittel oder Speisen zu verkaufen. Und ohne behördliche Erlaubnis darf man weder stationär noch mobil Versicherungen oder Finanzprodukte vermitteln. Ansprechpartner bei solchen Fragen ist das Gewerbeamt.
Weiterführende Informationen zu Rechts- und Steuerthemen finden Sie im orgaMAX-Blog und im Newsletter-Archiv: