Selbstständig oder sozialversicherungspflichtig beschäftigt? Über die Gretchenfrage der Scheinselbstständigkeit entscheidet die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung durch ein Statusfeststellungsverfahren. Ab April 2022 ändern sich einige wichtige Verfahrensregeln.
Wird Person A gegen Bezahlung für Unternehmen B tätig, kann es sich ...
Das Selbstverständnis der Beteiligten ist dabei nicht von Belang: Entscheidend sind objektive Tatbestände wie Weisungsbefugnis des Auftraggebers / Arbeitgebers oder auch die Einbindung des Auftragnehmers / Arbeitnehmers in die Betriebsorganisation. Erweist sich eine vermeintlich selbstständige Tätigkeit im Nachhinein als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, liegt Scheinselbstständigkeit vor.
Die kann teure Folgen haben: Der Auftraggeber mutiert ungewollt zum Arbeitgeber: Als solcher haftet er für die gesamten Sozialversicherungsbeiträge – und zwar für den Arbeitgeber- und für den Arbeitnehmeranteil! Dazu kommt die Lohnsteuer, die ja ebenfalls nicht abgeführt wurde.
Wichtig: Obwohl hauptsächlich Auftraggeber das Scheinselbstständigkeits-Risiko tragen, leiden vor allem Solo-Selbstständige und Kleingewerbetreibende unter den Folgen. Denn um nicht zum Arbeitgeber wider Willen zu werden, arbeiten viele Unternehmen sicherheitshalber gar nicht (mehr) mit geschäftlichen Einzelkämpfern zusammen. Stattdessen vergeben sie ihre Aufträge an größere Unternehmen mit eigenen Angestellten.
Ob im konkreten Fall eine Selbstständigkeit vorliegt, ist längst nicht immer auf Anhieb klar. Um Zweifelsfälle verbindlich zu entscheiden, gibt es seit 1999 die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Sie führt auf Antrag ein Statusfeststellungsverfahren durch. Dabei entscheidet sie gemäß § 7a SGB IV „auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles“, ob eine Beschäftigung vorliegt und Sozialversicherungsbeiträge fällig sind. Auftraggeber und Auftragnehmer wissen dann, woran sie sind.
Das Ergebnis des Verfahrens ist für Krankenkassen, Rentenversicherung und Arbeitsagentur verbindlich. Im Gegenzug müssen Antragsteller im Fall eines negativen Ausgangs in Kauf nehmen, dass die Sozialversicherungsträger über das Auftragsverhältnis informiert und Beiträge verlangen werden. Natürlich können sie gegen die Entscheidung Widerspruch einlegen oder gleich klagen.
Bitte beachten Sie: Ein Statusfeststellungsverfahren kann sowohl vom Auftraggeber als auch vom Auftragnehmer beantragt werden:
Für einen Antrag auf Statusfeststellung ist es dann zu spät. |
Wichtig: Auf die Kriterien zur Abgrenzung einer sozialversicherungspflichtigen „Beschäftigung“ von einer „selbständigen Tätigkeit“ wirkt sich die bevorstehende Neuregelung grundsätzlich aus. Nach wie vor gilt: Selbstständige …
Liegen einzelne oder gar alle Merkmale nicht vor, besteht die Vermutung einer Arbeitnehmer-Beschäftigung. Wie Selbstständige diesem Eindruck entgegentreten, können Sie im orgaMAX-Beitrag „Verdacht auf Scheinselbstständigkeit vermeiden“ nachlesen.
Geregelt ist das Statusfeststellungsverfahren in § 7a SGB IV. Die Vorschrift wird mit Wirkung vom 1. April 2022 in wichtigen Punkten geändert:
Bitte beachten Sie: Nach einem positiven Entscheid die Vertragsgrundlage kurzerhand eigenmächtig zu ändern, ist keine Option: Vertragliche Änderungen müssen innerhalb eines Monats gemeldet werden. |
Wichtig: Die Entscheidung hat die Form einer „gutachterlichen Äußerung“ und ist für die anderen Auftragsverhältnisse nicht verbindlich. Diese können unter Umständen später doch noch als Beschäftigung eingestuft werden. Die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen ist in solchen Fällen allerdings ausgeschlossen.
Das bedeutet praktisch: Hat der Auftraggeber den Status eines selbstständigen IT-Beraters prüfen lassen, kann ein Betriebsprüfer der DRV später einmal die Selbstständigkeit eines anderen IT-Beraters anzweifeln. Beitragsnachzahlungen drohen jedoch nicht – vorausgesetzt, der Auftrag erfolgte auf Basis desselben Vertrages und die Auftragspraxis war gleichartig.
Eine weitere Neuerung gibt es schließlich im Widerspruchsverfahren: Künftig kann nach schriftlicher Begründung des Widerspruchs eine mündliche Verhandlung folgen. Das soll ebenfalls für weniger Aufwand und kürzere Dauer sorgen.
Folgende Neuerungen sind auf zunächst fünf Jahre befristet:
Bis Ende 2025 soll die DRV dem Gesetzgeber über ihre Erfahrungen berichten. Bewähren sich die Neuregelungen, kann anschließend eine Entfristung erfolgen. Anderenfalls werden die Vorschriften nach jetzigem Stand zum 30. Juni 2027 planmäßig wieder außer Kraft gesetzt.
Ein schnelleres, flexibleres und unbürokratischeres Statusfeststellungsverfahren ist zweifellos ein Fortschritt. An den Kern des Scheinselbstständigkeits-Problems rührt die Gesetzesänderung jedoch nicht: Nach wie vor fehlt eine griffige, klare und trennscharfe gesetzliche Definition, durch die Selbstständigkeit und Beschäftigung voneinander abgegrenzt werden. Inhaltlich bleibt es für Selbstständige und ihre Auftraggeber dadurch vielfach bei der alten Unsicherheit.